Der GR 221, die Ruta de Pedra en Sec, führt vom Südwesten zum Nordwesten Mallorcas und quert dabei das Gebirge der Tramuntana, das bis zu 1.400 m aufragt. Der abwechslungsreiche Fernwanderweg eröffnet Blicke auf das Mittelmeer und über die ganze Insel, führt euch durch Wälder, Küsten- und Berglandschaften sowie ursprüngliche kleine Orte. Der GR 221 verläuft durch ein eher abgeschiedenes Gebiet, in teilweise einsamer und unberührter Natur, weit weg von Mallorcas Ballermann-Image. Er verspricht eine angenehme Mischung aus Natur und Kultur.
Je nach Variante ist der GR 221 ungefähr 145 km lang und dabei ein anspruchsvoller Bergwanderweg, der immer mal wieder Trittsicherheit, Schwindelfreiheit und einen guten Orientierungssinn voraussetzt. An ein ein paar Stellen muss an kurzen, leichten Kletterstellen auch Hand an den Fels gelegt werden. Dazu kommen größere Anstiege, die mit vollem Gepäck eine gewisse Fitness erfordern. Es ist jedoch auch möglich den Weg beliebig in viele kleinere Teilabschnitte aufzuteilen und von Unterkunft zu Unterkunft zu wandern. Oder ihr macht euch das gut ausgebaute Bussystem Mallorcas zu nutze und bleibt in einer festen Unterkunft. Die Orientierung ist stellenweise herausfordernd, da der GR 221 nicht durchgehend markiert ist. Hier gilt es auf Steinmanndl und GPS zu achten.
Viele historische Zeugnisse der Zivilisation sind auf dem Weg zu entdecken, darunter die zahlreichen Trockensteinmauern, die dem Wanderweg seinen Namen gegeben haben (Ruta de Pedra en Sec = Route der Trockensteinmauern), aber auch Ruinen von Wohn- und Arbeitsstätten der Köhler, Kalkbrenner und Schneesammler. Die Landschaft ist geprägt von Steineichen, Aleppokiefern und Palmen, dazu duftet es am Wegesrand nach wildem Rosmarin und Lavendel.
Mallorca ist die größte Insel der Balearen und liegt 170 km von Spanien entfernt im Mittelmeer. Sie besteht aus etwa drei Teilen: Aus der bis zu über 1.400 m hohen Bergkette der Serra de Tramuntana, durch die der GR 221 führt, und die etwa ein Viertel der gesamten Insel bedeckt. Der Puig Major ist mit 1.436 m ist der höchste Berg, er ist jedoch militärisches Sperrgebiet und kann nicht bestiegen werden. An der Südküste gibt es die weitere, jedoch deutlich niedrigere Bergkette der Serra de Llevant und dazwischen liegt die fruchtbare Ebene Llanura del Centro, die der mallorquinischen Landwirtschaft einen fruchtbaren Boden bereitet. Hier finden sich Felder auf denen Kartoffeln, Mandeln, Oliven, Feigen, Johannisbrot, Orangen und Zitronen angebaut werden. An Nutztieren gibt es vor allem Schafe, Ziegen, Schwarze Schweine und Hühner.
Neben zahlreichen wilden Ziegen und Schafen kann man auf der Wanderung auch vielen Vögeln begegnen, darunter dem eindrucksvollen Mönchsgeier. Mallorca ist reich an endemischen Arten, also Arten, die sonst nirgendwo auf der Erde vorkommen. 10% aller Pflanzenarten sind endemisch, dazu einige Eidechsenarten. Es gibt ein paar Schlangen, jedoch sind keine von ihnen giftig. Es gibt wohl eine Wildkatzenart, die Ginsterkatze, aber sie zu Gesicht zu bekommen bedeutet schon viel Glück oder Geduld, denn sie sind äußerst scheu.
Inhaltsverzeichnis
Toggle- Entscheidung und Anreise
- Tag 1: Die Dracheninsel
- Tag 2: Wind, Mönchsgeier und Kaloriendefizit
- Tag 3: Push auf den windigen Puis Gros
- Tag 4: Katzen und die Achillessehne
- Tag 5: In guter Gesellschaft
- Tag 6: Aussichtslos durch Regen und Nebel
- Tag 7: Ein abenteuerlicher Zusatzgipfel
- Tag 8: Roadwalk zum offiziellen Ende des GR 221
- Fakten zur Tour
- Jahreszeit
- Anreise
- Resupply
- Unterkünfte
- Kosten
Entscheidung und Anreise
Irgendwie habe ich das Gefühl Mal wieder rauszumüssen, raus aus Alltag und Zivilisation. Den Rucksack mit meinem Zelt packen und ein paar Tage am Stück wandern und etwas nur für mich zu tun. Ab und zu muss ich mich komplett rausnehmen um meinen Kopf freizubekommen. diese Balance und Achtsamkeit im Alltag zu finden von der alle reden, ist mir fast unmöglich. Ich schaue also wo in Europa das Wetter aktuell am besten ist. Auf der Liste stehen die Durchquerung Madeiras, der Fischerweg in Portugal und der GR 221 Mallorca. Der Wetterbericht für Mallorca ist am freundlichsten, also buche ich einen Flug für nächste Woche. Nur einen Hinflug, um zeitlich flexibel zu bleiben. Rückflüge zu buchen widerstrebt mir und mache ich nur wenn es aus Kostengründen Sinn ergibt. Flüge nach und von Mallorca sind günstig, es spielt also keine Rolle.
Ich hatte natürlich noch keine Ahnung, dass ein Wetterbericht für so eine Insel mitten im Meer nicht besonders verlässlich ist. Viel recherchiert habe ich auch nicht, so kurze Trails erfordern für mich keine große Planung. Daher weiß ich noch nicht, dass im Januar auf Mallorca viel geschlossen hat. Eigentlich denke ich mir, dass der Winter doch die beste Reisezeit sein müsste um dem Winter auf dem europäischen Festland zu entfliehen. Und dass es am Sonntagabend keine Gaskartuschen in der Hauptstadt Palma aufzutreiben gibt, weiß ich auch noch nicht.
Ich fliege also nach Palma de Mallorca, wo ich die Nacht verbringe bevor ich den GR 221 am nächsten Morgen starten würde. Ich stelle dort fest, dass es am Sonntagabend fast unmöglich ist eine Gaskartusche zu bekommen. Der Decathlon im Zentrum der Stadt hat keine Gaskartuschen. Die Outdoorläden in der Stadt haben sonntags geschlossen. Es gibt Gaskartuschen in den größeren Decathlons weiter außerhalb, aber auch hier ergibt eine Online Verfügbarkeitsabfrage, dass sie lediglich große Gaskartuschen vorrätig haben. Daher beschließe ich darauf zu verzichten und zu coldsoaken. Definitiv nicht das Schlimmste was passieren kann. Außerdem weiß ich, dass der Trail durch viele kleine Ortschaften führt in denen ich damit rechne Essen zu bekommen.
Tag 1: Die Dracheninsel
Port d’Andratx bis Jagdhütte Ses Basses
14,6 km / 4 h / 870 hm
Am Morgen fahre ich mit dem Bus von der Hauptstadt La Palma in die kleine Fischerstadt Port d’Andratx, die im Sommer zu einer beliebten Touristen-Destination wird. Davon ist im Januar jedoch nichts zu spüren, die Straßen sind wie ausgestorben. Glücklicherweise hat der örtliche Supermarkt jedoch geöffnet, wo ich mich mit Trinkwasser versorge. Es ist etwas regnerisch, als ich mich an der einsamen Hafenpromenade entlang auf den Weg mache, aber ich freue mich darüber, dass die Sonne nicht auf mich herab brutzelt. Mir erscheint es wie eine perfekte Wandertemperatur – nicht zu heiß, nicht zu kalt. Motiviert gehe ich auf die Hügel hinter der Stadt zu.
Um die serpentinenreiche Straße abzukürzen, führen zahlreiche kleine Pfade durch den Pinienwald steil aufwärts. Hier den richtigen zu wählen ist nicht immer ganz einfach. Letztlich gilt es aber immer hinaufzusteigen. Immer wieder kreuze ich dabei die Straße. Es ist schwül und ich komme trotz nicht allzu hoher Temperaturen dann doch schnell ins Schwitzen. Ich erreiche den vorerst höchsten Punkt am Coll des Vent von wo ich den ersten schönen Ausblick habe – hinauf aufs Meer und die vorgelagerte Insel Sa Dragonera, deren Anblick mich den weiteren Tag über begleiten wird.
Nach einer kurzen Verschnaufpause bei der es leicht zu tröpfeln beginnt, folge ich dem nun eindeutigen Weg, der den Hang des 319 m hohen Puig d’en Ric traversiert. Ich verlasse diese breite Schotterpiste um auf einen schmalen, mit Steinnmanndln markierten Pfad abzuzweigen. Über ihn erreiche einen weiteren schönen Aussichtspunkt am Pas Vermell, bei dem ich schon den kleinen Küstenort Sant Elm unter mir erblicken kann – mein nächstes Ziel. Im Norden hingegen ragen 1.000 m hohe Gipfel auf.
Es gibt hier ein paar aussichtsreiche Plätze für ein Zelt, aber ich habe heute noch mehr vor. Ich verlaufe mich etwas und es erfordert ein bisschen Zeit den richtigen Pfad wiederzufinden. Ich wandere unter einer senkrechten, durch einen hohen Eisengehalt rot gefärbten Felswand abwärts. Daher stammt auch der Name des Passes, denn auf Katalanisch bedeutet „vermell“ rot.
Der GR 221 führt nun steil bergab durch lichten Bergwald und ich verirre mich permanent aufgrund der vielen unmarkierten Abzweige. Immer wieder muss ich auf den GPS-Track schauen und meine Richtung korrigieren. Hinzu kommt, dass ich auf Barrieren aus Eisenketten stoße, die mit „Privado“ Schildern den Zugang verbieten. Ich bin unschlüssig wie das zu verstehen ist, denn sowohl mein Wanderführer als auch mein GPS-Track behauptet, dass man hier lang gehen könne. Ich schätze und hoffe also, dass die Verbote nur für Autos gelten, nicht für Wanderer.
Schließlich erreiche ich den kleinen Ort Sant Elm, wo es zahlreiche Bars, Cafés und Restaurants gibt. Naja, jedenfalls in der Hauptsaison. Denn jetzt im Januar ist fast alles geschlossen. Ich kann nur zwei geöffnete Restaurants ausmachen und die Minimärkte sind ebenfalls alle geschlossen. Das bereitet mir etwas Kopfzerbrechen, denn auf dem Trail lässt sich keinerlei Wasser finden, alles ist staubtrocken. Ich bin also auf das Wasser in den Städten angewiesen. Ich schaue ein wenig hin und her, um vielleicht eine öffentliche Toilette oder irgendeinen Wasserhahn zu finden, bleibe aber erfolglos.
Schulterzuckend folge ich erstmal weiter der Küste und hoffe darauf, dass sich irgendwas ergeben wird. Am Ortsende merke ich, dass hier wohl nicht mehr viel passiert, also kehre ich in dem geöffneten Restaurant hier ein. Offenbar nicht das Günstigste und ich habe auch eigentlich keinen Hunger, aber ich brauche Wasser. Ich bestelle einen Salat und eine Cola, fülle nebenher meine Wasservorräte im Badezimmer auf und lade mein Smartphone auf. Ich werde es noch bereuen die Möglichkeit eine üppige Mahlzeit zu bekommen ausgeschlagen zu haben, aber davon ahne ich jetzt noch nichts. Mallorquinisches Leitungswasser ist übrigens auch kein Hochgenuss, der hohe Chlorgehalt trübt den Geschmack. Gesundheitsschädlich ist das aber nicht. Zukünftig werde ich nach Möglichkeit lieber auf gekauftes Wasser ausweichen.
Da sich die Navigation bis Sant Elm eher schwierig gestaltet hat, habe ich deutlich länger hier her gebraucht als angenommen. Es gab keinerlei Markierungen außer gelegentlichen Steinnmanndln, daher habe ich ein paar Umwege genommen. Außerdem ist das Gelände steil und rau, definitiv kein gemütlicher Spaziergang wie die großen Caminos auf dem Festland. Mit einem Vorankommen von 5 km/h kann man hier nicht rechnen.
Von hier an wird es jedoch einfacher, denn hier beginnt der offizielle GR 221 erst so richtig. Daher tauchen plötzlich zahlreiche Markierungen und Schilder auf, die mir die Orientierung deutlich erleichtern. Hinzu kommen Steinmanndl und rote Farbpunkte auf Felsen. Es geht wieder steil aufwärts und dabei gilt es eine kurze Kletterpassage zu überwinden. Mein Wanderführer spricht von einem Seil, das dabei helfen soll, ich kann jedoch keins entdecken. Für mich als flinke Bergziege jedoch kein Problem, dazu bin ich dankbar für mein geringes Rucksackgewicht.
Ich kann mir nur vorstellen, dass es bei Nässe vielleicht etwas unangenehm wird. Wilde Ziegen sehe ich übrigens so einige auf meinem Weg, deutlich mehr als Wanderer. Bisher bin ich nur drei Tageswanderern auf dem Abstieg nach Sant Elm begegnet. Nur wenig später erreiche ich den vorerst höchsten Punkt und kann das das alte, halb zerfallene Kloster La Trapa unter mir ausmachen. Dahinter erstreckt sich das unendlich scheinende Mittelmeer. Eine Holzleiter, die mich an den Te Araroa erinnert, lässt mich über einen Zaun klettern.
Am Kloster verkündet ein Schild, dass es möglich ist, hier sein Zelt aufzuschlagen. Es ist jedoch erst 16 Uhr und ich habe noch ein gutes bisschen Tageslicht übrig, also entscheide ich mich dazu weiterzugehen. Es wird sich schon was finden. Ich steige immer weiter hinauf und der Wind fängt stark an mir zu zerren. Ich laufe über steil abfallende Klippen, dabei stets die blauen Weiten des Meeres und die Insel Sa Dragonera im Blick. So langsam beginne ich mir dann doch Sorgen zu machen, denn für ein Zelt ist es hier ohne jeglichen Windschutz definitiv zu windig. Und Windschutz gibt es hier keinen, es gibt nur ein paar kratzige kleine Büsche, und wenig geeignete flache Flächen. Der Boden ist übersät mit Steinen.
Ich halte an einem guten, flachen Platz, an dem offenbar schon mal ein Zelt stand, und überlege, ob ich hier cowboycampen sollte. Denn wenn ich dem Wind keine Angriffsfläche biete, indem ich mein Profil flach halte, sollte das kein Problem sein. Außerdem stelle ich mir vor, dass es hier einen schönen Sonnenuntergang geben könnte. Ich konsultiere die Wettervorhersagw, denn hier oben gibt es glücklicherweise Mobilfunkempfang, wie übrigens auf dem größten Teil des GR 221. Der Wetterbericht verheißt ein bisschen Regen in der Nacht. Daher entscheide ich mich weiterzugehen, in der Hoffnung etwas Geschützteres zu finden, wo ich mein Zelt aufstellen kann. Ich spute mich, denn der Tag neigt sich bedrohlich dem Ende zu und weit und breit lässt sich noch immer nichts finden. Ich werde ein bisschen nervös.
Nach einem Abstieg erreiche ich schließlich eine kleine Jagdhütte. Die Hütte Ses Basses kommt wie gerufen. Man kann nicht hineingehen, aber sie bietet ein Vordach, unter dem ich cowboycampen kann und geschützt vor möglichem Regen bin. Damit bin ich mehr als zufrieden. Es gibt sogar eine Bank, Stühle und einen Tisch. Mittlerweile bin ich doch ganz schön zittrig auf den Beinen, mein Blutzuckerspiegel ist offenbar im Keller. Ich stopfe mir Brot mit Käse in den Mund, dazu Schokolade.
Da ich nirgends eine Gaskartusche auftreiben konnte, kann ich meine mitgebrachten Trekkingmahlzeiten nicht zubereiten und nach Cold Soaking ist mir heute so gar nicht. Denn ich habe nur Kartoffelbrei und Couscous zur Auswahl. Erfahrungsgemäß lässt sich alles mit Kartoffeln nicht so gut cold soaken. Couscous funktioniert besser, ist aber nicht mein Favorit. Verhungern werde ich trotzdem nicht, ich habe genug Snacks dabei.
Es tröpfelt tatsächlich ein bisschen in der Nacht, ich bin also froh ein Dach über dem Kopf gefunden zu haben.
Tag 2: Wind, Mönchsgeier und Kaloriendefizit
Jagdhütte Ses Basses bis Font de S’Obi
22,8 km / 6 h / 980 hm
Ich stehe auf als es noch dunkel ist, und mache mich auf den Weg als die Sonne um kurz vor 8 Uhr aufgeht. Sie zaubert wunderschöne Farben in den Himmel und ich genieße diese frühen Morgenstunden. Außer mir sind nur die Ziegen unterwegs.
Ich erreiche die Straße, an der ich ein Stück entlanglaufen kann. Es herrscht kaum Verkehr, daher ist es nicht so unangenehm wie es sein könnte an dieser eher engen Bergstraße ohne nennenswerten Seitenstreifen entlangzugehen. Immer wieder wechsele ich die Straßenseite, um mich in den Kurven stets gut sichtbar für entgegenkommende Fahrzeuge zu machen. Dann gibt es einen Pfad neben der Straße auf dem ich mich deutlich wohler fühle. Ich ignoriere ein Schild, dass den GR 221 nach rechts abzweigen lässt, denn mein GPS-Track und Wanderführer behaupten ich solle bis Ses Fontanelles gehen, einem privaten Refugi, hinter dem der GR 221 weiterführen würde. Das stellt sich als Trugschluss heraus, denn ein Schild am Eingang der Herberge verkündet, dass es hier nichts zu essen, nichts zu trinken, keine Gaskartuschen und auch eine Verbindung zum Trail gäbe. Ich schätze hier haben schon so einige Wanderer geklingelt und die genervten Besitzer gefragt.
Ich lerne, dass es weiser ist den Schildern zu folgen als irgendeinem GPS-Track. Also gehe ich auf der Straße wieder zurück zum Schild. Das sieht schon besser aus. Ich komme an einigen Häusern und Pferden vorbei, bis die Schotterstraße in einen steil aufsteigenden Waldweg übergeht. Ich lasse den Wald schnell unter mir zurück und nun zweigen zahlreiche kleine Pfade vom Weg ab. Davon handelt es sich bei einigen wohl eher um Ziegenpfade, denn die Tiere sind hier zahlreich vertreten. Ich folge erstmal dem falschen Weg, bevor ein Blick auf das GPS mich wieder zurück und auf den richtigen Weg führt. Dieser ist steil und windet sich zwischen beeindruckenden Felsnadeln empor. Eine kürzere Steilstufe gilt es zu überwinden, dann stehe ich am ersten Aussichtspunkt des Tages, dem Pas Gran. Ich kann in das Tal mit der Straße hinab sehen, die ich gerade noch entlang gelaufen bin.
Ich zwinge mich dazu ein Snickers zu essen, denn ich habe immer noch weder Hunger noch Appetit, was immer wieder ein Problem auf meinen Wanderungen ist. Während andere ständig hungrig sind und sich immer wieder einen Snack in den Mund schieben, muss ich mich dazu zwingen meinen Körper mit den notwendigen Kalorien zu versorgen. Interessanterweise hat sich mein Körper aber bereits gut darauf eingestellt, denn ich komme mit wenig Essen trotzdem gut die Berge hoch.
Ich bin meist erst am Ende des Tages richtig hungrig. Ich esse kein Frühstück, weil es mir seit früher Kindheit bereits schwerfällt, direkt nach dem Aufstehen Essen in mich hineinzubringen. Das ist im Alltag kein großes Problem, auf einer Wanderung ist es jedoch schon wichtig sich mit Energie zu versorgen. Auf Thru-Hikes greife ich zum Frühstück auf Porridge zurück, auf kleineren Trails wie dem GR 221 lasse ich es einfach zu. Denn ein Kaloriendefizit lässt sich über eine Woche problemlos aufrechterhalten, über Monate jedoch nicht.
Es geht steil weiter hinauf, weglos über Felsen. Steinmanndln und gelegentliche Pfosten mit Pfeilen weisen mir aber recht zuverlässig die richtige Richtung. Sobald ich ein Steinmanndl oder Pfosten erreicht habe, scanne ich den Horizont nach dem nächsten ab. Auf diese Art komme ich problemlos ans Ziel. Schließlich erreiche ich eine Finca mit mir entgegen blökenden Schafen und dahinter eine Ruine mit einem Brunnen. Ein Blick hinein zeigt mir jedoch, dass es hier kein Wasser zu finden gibt.
Ein kurzes steiles Stück später lande ich dann am höchsten Punkt, dem Pas d’En Ponça. Hier gibt es richtig viele schöne Zeltplätze mit Aussicht, aber ich befinde mich noch mittendrin in meiner Tagesetappe. Ich beschließe den Seitentrip auf den 927m hohen Mola de s’Esclop zu machen, der von hier keinen großen Umweg bedeutet. Lediglich ein paar zusätzliche Höhenmeter und ein bisschen Kraxelei, so habe ich mir das jedenfalls gedacht.
Ich erreiche den Gipfel schnell, aber oben ist es extrem windig und es bläst mir beim Fotografieren fast das Telefon aus den Händen. Keine Chance mein Stativ aufzubauen, ein Selfie im Sitzen muss genügen. Hier gibt es wieder mal keinerlei Windschutz, die einzige Möglichkeit ist sich den größtmöglichen Felsen zu suchen und sich dahinter klein zu machen. Das ist er also, dieser Tramuntana genannte Starkwind, der damit dem Gebirge seinen Namen gab. Der auch als Mistral bezeichnete Wind kann mit bis zu 100 km/h über die Berge fegen, was ich mir jetzt besser vorstellen kann.
Der Weg hinab kostet mich dann aber doch deutlich mehr Zeit als erwartet, denn mal wieder ist nichts markiert. Ich folge einfach den Steinmanndln, auch wenn diese von meinem GPS-Track abweichen. Ich denke mir, wo Steinmanndln sind, kann man auch gehen, denn offenbar war bereits mal jemand hier um sie zu bauen. Es wird aber zunehmend felsiger und unangenehmer und ich muss mich vorsichtig am steilen Hang entlang hangeln. Dabei treffe ich auf einen Mönchsgeier, der direkt unter mir auf einem Felsvorsprung sitzt. Er sitzt reglos da, weshalb ich ihn erst für einen Stein halte, aber dann verschafft mir eine kleine Kopfdrehung Gewissheit. Ich beobachte den gewaltigen Vogel, bis er die Flügel ausbreitet und sich in die Lüfte erhebt. Er schließt sich seinem Artgenossen an, der gerade vorbeifliegt. Ich bin begeistert, diese Begegnung war die zusätzlichen Schwierigkeiten definitiv wert.
Der Mönchsgeier ist der eindrucksvollste Vogel der Insel. Seine Flügel haben bis zu drei Meter Spannweite, was ihn zum größten Vogel Europas macht. Die Vögel der Insel sind am artenreichsten vertreten, denn es gibt etwa 300 Arten. Davon leben etwa 30 Greifvogel- und 6 Eulenarten im Gebirge. Der Mönchsgeier verschwand in den 80er Jahren fast komplett von Mallorca, ein umfangreiches Artenschutzprogramm hat die Tiere wieder angesiedelt und heute soll es wieder etwa 330 von ihnen geben. Und ich habe gerade zwei davon gesehen, ich fühle mich geehrt.
Nach einer gefühlten Ewigkeit erreiche ich dann doch wieder den GR 221 und habe einen schönen Blick aufs Meer und auf den markanten Felsstumpf Es Castellet, an dem ich nun vorbei gehe. Hinter mir bleibt der soeben von mir bestiegene Berg zurück.
Der Weg hinab ist lang und eher langweilig. Ich lege also einen Zahn zu, denn eine breite Schotterstraße macht es möglich in einen leichten Trab zu verfallen. Aufs Neue bin ich dankbar für mein geringes Rucksackgewicht, dass mir das ermöglicht. Das Interessanteste am Wegesrand sind Borkenkäferfallen, die ich noch nie zuvor gesehen habe. Ich kann mir erst nichts unter diesen schwarzen Tafeln vorstellen, aber beim näheren Hinsehen entdecke ich ein Schild, dass sie als Lockstofffallen für die Schädlinge ausweist.
Nach einem kurzen Roadwalk erreiche ich das kleine Dorf Estellencs in der wider hoffnungsfroher Erwartung alles außer einer kleinen Bodega geschlossen hat. Ich hatte mich auf eine warme Mahlzeit gefreut, aber immerhin bin ich in der Lage in der Bodega Wasser und Cola zu kaufen. Ich frage den wortkargen Verkäufer, ob hier irgendein Restaurant geöffnet hat, was er jedoch verneint.
Dann setze ich mich auf eine Bank an der Kirche gegenüber, verputze mein bewährtes Mahl bestehend aus Brot mit Käse, dazu Schokolade. Ich recherchiere ob in der nächsten Stadt irgendwas geöffnet hat, aber das sieht auch eher schlecht für mich aus. Es gibt eine gutaussehende und offenbar geöffnete Pizzeria, die jedoch mittwochs geschlossen ist. Und morgen ist Mittwoch, der Tag, an dem ich diese Stadt erreichen würde. Sieht so aus, als würde ich ungeplant ein paar Kilo abnehmen auf dieser Wanderung.
Ich war mir so sicher, dass ich in jeder Stadt irgendwas zu essen bekomme. Im Januar sollte man damit augenscheinlich jedoch eher nicht rechnen. Viele Geschäfte und Unterkünfte öffnen erst im März wieder. Was mir seltsam erscheint, denn ist der Winter nicht die beste Zeit hierherzukommen, um der Kälte in Mitteleuropa zu entfliehen? Im Sommer ist es ohnehin viel zu heiß hier. Verstehe ich nicht, denn ich sitze hier in Shorts während in München Schnee liegt.
Währenddessen knattern lautstark Traktoren durch den kleinen Ort, ein paar Meter weiter unterhalten sich sechs Männer äußerst lautstark und die Kirchenglocken bimmeln alle 15 Minuten ohrenbetäubend. Lange halte ich es hier nicht aus, es ist mir einfach zu laut. Seltsamer Kontrast für einen Ort, der sonst wie ausgestorben wirkt. So wenig passiert hier und doch gibt es so viel Krach.
Nach ein paar Metern fällt mir auf, dass etwas in meinen Händen fehlt. Meine Trekkingstöcke! Ich kehre um und finde meine Stöcke in der Bodega, wo ich zugleich noch ein paar Bananen als Kalorienzufuhr für den Weiterweg kaufe.
Auf dem gesamten Weg heute habe ich nicht einen Wanderer getroffen, nur Schafe und Ziegen. Trotz Schwierigkeiten mit den geschlossenen Geschäften, beglückwünsche ich mich zu der Entscheidung den GR 221 im Januar zu gehen. Off-Season-Travelling ist das Beste. Günstiger, flexibler, da man nicht ewig Flüge und Unterkünfte im Voraus buchen muss und natürlich die Ruhe und Einsamkeit, nach der ich mich immer so sehne und die einer der Gründe ist warum es mich immer wieder für mehrere Tage oder gar Wochen und Monate am Stück in die Natur verschlägt.
Beim Aufstieg finde ich eine weitere Hütte. In diese kann man sogar hinein gehen, es ist aber stockdunkel darin. Ich schlage mein Zelt hinter der Hütte auf, um so vom Windschutz zu profitieren. Der Wetterbericht prophezeit wieder Regen inmitten der Nacht. Also schlage ich lieber mein Zelt auf, auch wenn der Himmel momentan noch sehr freundlich aussieht. Eigentlich soll es hier auch eine Quelle geben, aber diese ist wenig überraschend komplett trocken.
Ich cold-soake meinen Couscous während ich den blökenden Schafen in der Ferne und einer irgendwo rufenden Eule lausche und dem sich vom Sonnenuntergang verfärbenden Himmel zusehe. Nach 45 Minuten ist der Couscous bereits genießbar. Essen ist Treibstoff, egal ob die Kalorien schmackhaft sind oder nicht, Hauptsache sie kommen hinein. Aber ich hoffe trotzdem darauf morgen irgendein Restaurant vorzufinden um richtiges Essen zu bekommen. Ich hatte sogar überlegt, ob ich noch heute weiter bis zur nächsten Straße gehen sollte, von dort den Bus in die nächste Stadt zu nehmen, um dort zu übernachten und zu essen. Das Hostel dort scheint jedoch geschlossen zu haben, daher verwerfe ich die Idee. Ich will nicht so viel Geld für ein Hotelzimmer bezahlen, das ich eigentlich nicht brauche.
In der Nacht heult der Wind um mich herum wie verrückt, aber abgesehen von ein paar gelegentlichen Böen, die an meinem Zelt rütteln, bin ich gut geschützt. Gegen den Lärm helfen Ohrstöpsel und ich kann gut schlafen. Tatsächlich wecken mich gegen 3 Uhr nachts dicke Regentropfen auf, die auf mein Zelt klatschen und ich schließe ich schlaftrunken die Türen, die ich aufgrund von Aussicht in die Landschaft und die Sterne normalerweise offenhalte. Es ist ganz neblig da draußen geworden.
Tag 3: Push auf den windigen Puis Gros
Font de S’Obi bis Puig Gros
26 km / 7 h / 1.480 hm
Auch morgens vernehme ich vereinzeltes Schafsblöken, während ich bei Sonnenaufgang meine Sachen zusammenräume und mir den letzten Rest Couscous reinschaufele. Der Wind hat mein Zelt bereits wieder trocken geblasen, worüber ich sehr glücklich bin.
Es ist noch immer windig, aber regenfrei. Der Weg nach Esporles wandert sich nun richtig schnell ab, denn er ist einfach. Ein richtiger Spaziergang und es gibt keine Orientierungsschwierigkeiten. Nur ein paar bei ihrer Öffnung fies quietschende eiserne Tore stören mich in meinem Rhythmus. Jemand sollte sie mal ölen. Ich nehme den Direktweg nach Esporles und überspringe damit den Küstenort Banyalbufar, denn hier gibt es für mich nichts.
Ein paar Stellen verfügen über uraltes Kopfsteinpflaster, das vor 100 Jahren vielleicht ganz nett gewesen mag, nun aber durch die unebenen Steine eher unangenehm zu gehen ist. Es handelt sich dabei um historische Postwege, aber ich kann mir auch nicht vorstellen, dass das für Pferde besonders angenehm war. Wahrscheinlich waren sie einst mit mehr Erde bedeckt. Immerhin sieht’s hübsch aus. Die Sonne bricht zwischen den Steineichen hindurch, die den GR 221 säumen, und immer wieder stoße ich auf Überbleibsel früherer menschlicher Zivilisation. Überreste alter Steinöfen der Kalkbrenner, alte Dreschplätze auf denen die Rinde von Steineichen getrocknet wurde und natürlich die kunstvoll gebauten Trockensteinmauern.
Sie prägen große Teile der Landschaft auf Mallorca und gaben dem GR 221 seinen Namen – Route der Trockenmauern. Diese ohne Bindemittel errichteten Mauern dienen als Grenzen zwischen verschiedenen Landbesitzen, als Abgrenzungen für Weiden und als Stützmauern für die künstlich angelegten Terrassen. Mit ihnen wurden Häuser errichtet, Eiskeller, Kalk- und Backöfen gebaut und Brunnen eingefasst. Viele von den noch heute erhaltenen Mauern stammen aus dem Mittelalter. Immer wieder stoße ich auf diese alten Bauwerke aus Trockenmauern, die oft nur noch zu erahnen, manchmal aber auch noch gut erhalten sind.
Auf dem Weg hinab in die Stadt begegne ich ganzen fünf Tageswanderern. Sobald ich in die Nähe der Städte komme, finden sich immer ein paar vereinzelte Wanderer. Sie riechen überwältigend intensiv nach Seife und Waschmittel. Ich habe keine Ahnung wie ich rieche, ob sich mein Körpergeruch nach zwei Nächten im Zelt noch in Grenzen hält oder nicht. Aber auch die Abwesenheit von oft für mich überstimulierenden Gerüchen der Zivilisation ist etwas, das ich an der Natur so schätze. Parfümierte Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln sind ein Alptraum für mich. Keine Ahnung wie jemand Parfüm mögen kann. Ich mag die Gerüche der Natur. Bäume, Sträucher, der Geruch von Regen und klarer Luft.
Ich erreiche Esporles früher als erwartet, weshalb es noch kein Mittagessen gibt. Immerhin aber viele geöffnete Möglichkeiten aus denen ich nur wählen muss. Es ist die erste größere Stadt auf dem GR 221 und es herrscht geschäftiges Treiben in den Straßen, die Außenbereiche der Cafés sind gut gefüllt. Ich gehe erstmal einkaufen – Wasser, Schokolade, Empanadas, ein bisschen Nudelsalat aus der Packung und Instantnudeln, die sich gut cold-soaken lassen.
Dann suche ich mir ein Café aus und bestelle Pa Amb Oli, da es noch keine Mittagskarte gibt. Dabei handelt es sich um einen typischen mallorquinischen Snack: Eine geröstete Brotscheibe, die mit Olivenöl bestrichen und mit Knoblauch und Tomate eingerieben wird. Darauf wird verschiedener Belag angeboten, von Käse bis zu Wurst und Fisch. Ich probiere zugleich Sobrasada aus, eine typisch mallorquinische Wurst aus einheimischen schwarzen Schweinen und rotem Paprikapulver. Nach drei von diesen Brotscheiben bin ich bereits pappsatt, daher stecke ich die letzte in eine Ziplock-Tüte, um sie später zu verputzen.
Währenddessen lade ich meine zwei Powerbanks auf. Der Akku meines Smartphones ist schon ziemlich hinüber, weshalb ich mehr Energie brauche. Tatsächlich trage ich deshalb aktuell sogar zwei Smartphones mit mir herum: Eins für Fotos, das andere für die Navigation, Musik und Hörbücher.
Der weitere Weg ist nun wieder gewohnt herausfordernd. Steil, unübersichtlich und felsig. Steinmanndl retten mir mal wieder den Hintern. Bis auf ein paar gelegentliche Aussichten verläuft der Großteil des Trails im Wald, einem sehr hübschen Wald. Urige Steineichen wachsen am Wegesrand, Moose bedecken den felsigen Boden und hier und da findet sich eine Ruine der Köhler. Die Köhler brannten früher Holzkohle, die vor dem Propangas die Hauptenergiequelle auf Mallorca war. Ich entdecke Reste von Hütten und steinernen Backöfen. Das Holz der Steineichen wurde geschlagen, zugeschnitten und dann in diesen Holzkohlemeilern gebrannt, was 24 Stunden überwacht werden musste. Die Köhler schliefen also bei ihren Öfen in einfachen Behausungen. Jeder Brand lieferte immerhin etwa drei Tonnen Kohle, was somit ein zwar hartes, aber lohnendes Geschäft war. Es führte jedoch zu Kahlschlag der Wälder. Die schönen Steineichen sind nur noch in wenigen Bereichen in geschlossenen Beständen zu finden.
Ich steige bergauf und habe dabei immer wieder schöne Ausblicke aufs Meer hinaus, die Küste vor Valldemossa und rechts kann ich hinter ein paar Bergen die Ebene von Palma ausmachen. Der Himmel ist inzwischen ganz blau, kein Wölkchen ist zu sehen. Die Sonne sendet ihre Strahlen immer wieder hübsch durch die Äste der Bäume hindurch. Beim Abstieg gilt es eine höhere Trockensteinmauer hinunterzuklettern, ansonsten gibt es jedoch keine größeren Schwierigkeiten.
Der Abstieg ist steil und ich begegne dabei das erste Mal einer anderen Wanderin mit größerem Rucksack. Sie kommt mir entgegen geschnauft, wir begrüßen uns knapp, beide halten wir jedoch nicht an, um uns zu unterhalten. Ich habe es ein bisschen eilig, denn ich will heute noch den nächsten Berg hinauf.
Ich lande in Valldemossa, einer ziemlich süßen kleinen Stadt. Hier hat sogar richtig viel geöffnet und es ist recht lebendig mit einigen Menschen. Die Sonne scheint und die Menschen sitzen in den Straßencafés. Mir gefällt das recht gut, viel Zeit habe ich jedoch nicht den Ort zu genießen. Ich kaufe Wasser und Cola im örtlichen Supermarkt und finde an der Touristeninformation sogar Outdoor-USB-Aufladestationen. Das kommt wie gerufen – The trail provides. Aus irgendeinem Grund wurde eine meiner Powerbanks bei meinem Café Besuch am Mittag nicht geladen, also setze ich mich hier für gute 20 Minuten hin, lasse mir die Cola schmecken und schaue mir während des Ladens meiner Gerätschaften den vor mir liegenden Abschnitt an.
Ich begebe mich nun flotten Schrittes aus der Stadt hinaus und fliege geradezu den Berg hoch. Mit Essen im Magen ist so ein Aufstieg doch erheblich leichter, was nicht unbedingt als Überraschung erscheinen mag. Der erste Teil führt auf einer steilen Straße in vielen Serpentinen hinauf. Ich treibe mich an und mache große Schritte. Ich will unbedingt zum Sonnenuntergang noch ganz nach oben, um dort zu schlafen und hoffentlich einen schönen Sonnenaufgang zu erleben. Ab einem geschlossenen kleinen Refugi, das nur für Gruppen buchbar ist, geht der GR 221 in einen gewohnt felsigen Pfad über, der meinen Fortschritt deutlich verlangsamt.
Aber ich zögere nicht, ich schreite eisern voran. Ich schaffe es gerade rechtzeitig auf den Gipfel des Puig Gros als die Sonne hinter dem Horizont verschwindet. Ich bin glücklich es durchgezogen zu haben. Der Anblick war es wert. Nun muss ich nur noch einen geeigneten Schlafplatz finden. Es ist unglaublich windig hier oben, aber der Wetterbericht verheißt eine klare Nacht, daher kann ich ohne Probleme cowboycampen. Allerdings dauert es dann doch eine Weile, bis ich einen guten Platz finde. Ich brauche einen flachen Bereich, ohne Felsen und Büsche, der ein wenig windgeschützt ist, aber auch den Bäumen nicht zu nahekommt, denn diese sind mir bei diesem heftigen Wind nicht geheuer. Idealerweise hat der Platz noch eine gute Aussicht.
Ich suche länger herum während das Tageslicht schwindet und mich langsam etwas nervös macht. Schließlich finde ich aber einen guten Spot in der Nähe des Trails. Ich richte mein Camp unter freiem Himmel ein, esse meinen Nudelsalat und sehe den schnell vorbeitreibenden Wolken zu. Der Mond beleuchtet die Umgebung stark heute Nacht, ich brauche nicht mal eine Stirnlampe. Ich mag es, wenn es nicht stockfinster ist. Als ich in meinen Schlafsack krieche geben die Wolken den Blick frei auf die Sterne, viele Sterne. Ich kann die Milchstraße und Jupiter ausmachen. Und das ein oder andere Flugzeug, das sich als blinkender Punkt am Himmel bewegt.
In meiner Meinung nach sicherer Entfernung von mir steht ein größerer Baum, den es immer wieder bedrohlich durchschüttelt. Der Wind fegt extrem laut durch die kleine Senke, in der ich mich befinde, und ich habe trotz Ohrstöpseln Schwierigkeiten ein- und durchzuschlafen. Ich hoffe auf einen guten Sonnenaufgang, der das daraus resultierende Schlafdefizit wert ist.
Tag 4: Katzen und die Achillessehne
Puig Gros bis Sollér
26 km / 7 h / 550 hm
Tatsächlich erlebe ich einen wunderschönen Sonnenaufgang, der es bestimmt in die Top 3 der schönsten von mir erlebten Sonnenaufgänge schafft. Ich steige auf den nächsten Gipfel, den Puig Caragoli, und sehe dort dem Farbenspiel im Himmel zu, bis der feurige Ball der Sonne hinter den Bergen auftaucht. Ich kann einen großen Teil der Insel überblicken und den höchsten Berg ausmachen, den Puig Major. Auf der linken Seite sehe ich den Ort Deià im Tal, auf der rechten Seite befinden sich die funkelnden Lichter der Hauptstadt Palma.
Hier oben ist es unglaublich windig, ich muss mich immer wieder mal hinter Felsen verstecken. Es bläst mich beinahe um und mir mein Telefon fast aus den kalt werdenden Händen. Es ist nicht richtig kalt, aber der Windchill ist extrem. Ich habe die volle Montur an: Daunenjacke, Fleecejacke, Longsleeve, Shirt, lange Unterhose, Leggins und bis auf die Hände ist mir gerade warm genug. Ich glaube, dass dies einer der heftigsten Winde ist, den ich je erlebt habe. Stärker als alles, was ich in Schottland, Island oder Schweden erlebt habe. Nur eine Silvesternacht auf dem Brocken kann damit konkurrieren. Ich bin trotzdem froh um den Anblick dieses Sonnenaufgangs.
Der Abstieg ist dann jedoch weniger erfreulich, denn er ist steil und felsig. Es windet immer noch stark und dass ein Schild mich auf Absturzgefahr hinweist, hilft auch nicht gerade. Ich setze mich erstmal in den Windschutz eines Baums, um neuen Mut für den weiteren Abstieg zu schöpfen. Hier riecht es immerhin gut nach irgendwelchen Kräutern, wahrscheinlich Rosmarin. Ich habe keine Augen dafür, ich bin voll und ganz auf meine Abstiegsmission konzentriert. Mein Handy hat sich inzwischen verabschiedet, es war einfach zu kalt da oben und das hat meine Batterie komplett entladen. Immerhin konnte ich noch den Sonnenaufgang einfangen.
Der GR 221 windet sich nun steil an der Felswand hinab nach Deià, das ich bereits von oben sehen konnte. Glücklicherweise blockt die Felswand dann doch den Wind ganz gut und sobald ich in den Wald eintauche, herrscht wieder Ruhe. Ich habe doch ein bisschen die Schnauze voll von diesem lauten, böigen Wind und ich bin etwas verstimmt. Ein größerer Felssturz versperrt mir den Weg und bei der weglosen Umgehung dessen verliere ich den Trail aus den Augen und verlaufe mich mal wieder. Mit Hilfe des GPS kann ich mich fluchend zurück zum GR 221 navigieren, aber es kostet Zeit. Ich will nach Deià und etwas zu essen finden.
Über aus Trockenmauern angelegte Terrassen und zwischen Olivenbäumen hindurch steige ich immer weiter ab. Eine größere Gruppe begegnet mir hier, es sieht aus wie ein Schulausflug, denn eine Frau erklärt der Gruppe junger Menschen etwas in Katalan. Ich fühle mich etwas unwohl unter den Blicken von mindestens 15 fremden Menschen, die links und rechts vom Trail stehen. Ich mag es nicht besonders wahrgenommen zu werden, ich bin gerne möglichst unsichtbar. Ansonsten bin ich mir selbst, meinem Aussehen, meinen Bewegungen zu bewusst und denke immer, dass ich irgendwie lächerlich aussehen mag. Ich weiß natürlich, dass sich in Wirklichkeit keiner für mich interessiert, aber das Gefühl bleibt. Ich begegne noch ein paar Gruppen von Männern, die offenbar am Trail arbeiten und sich gerade auf einem kleinen Feuer Kaffee zum Frühstück kochen. Sie erwidern mein „Hola“ nicht einmal.
Ich lande recht schnell in der Stadt, verpasse aber den Abzweig in den Stadtkern, da ich weiter den Schildern des GR 221 folge, der das Stadtinnere komplett umgeht. Ich hätte irgendwo rechts abzweigen müssen. Als ich das bemerke, verlässt mich der Rest meiner Stimmung. Ich bin offiziell mürrisch und ziemlich frustriert. Ich setze mich erstmal hin. Ein Blick auf die Karte verrät mir, dass der Rückweg einen Aufstieg involvieren würde. Ich beschließe, dass es das nicht wert ist, esse von meinem Proviant und lade die restliche Energie aus meinen Powerbanks, denen die Kälte ebenfalls zugesetzt hat. Das versetzt mich wieder in eine vernünftige Stimmung, sodass ich meinen Weg fortsetzen kann. Neben mir rauscht ein Fluss durch eine kleine Schlucht, es ist das erste Mal, dass ich fließendes Wasser auf dem GR 221 sehe. Alle anderen Flüsse und Quellen waren bisher ausgetrocknet.
Offenbar habe ich es gestern doch etwas übertrieben und meinen Sehnen zu viel Belastung zugemutet, als ich den steilen Weg zum Puig Gros hinaufgehetzt bin. Denn meine linke Achillessehne fängt stark an zu schmerzen. Ich werfe mir Ibuprofen ein, versuche ein paar Stretching-Übungen und gehe langsam, um meine Sehnen zu schonen. Trotzdem wird es immer schlimmer, jeder Schritt schmerzt. Glücklicherweise ist der GR 221 ab Deià ein gemütlicher Spaziergang ohne große Anstiege, Orientierungsprobleme oder technische Schwierigkeiten. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum ich heute den meisten Wanderern begegne, aber alle samt Tageswanderer.
Dann treffe ich in der Nähe einer von Dattelpalmen umstandenen Finca auf einen orangefarbenen Kater, der mir miauend entgegenläuft und offenbar Wegzoll in Form von Kuscheleinheiten verlangt. Dazu bin ich nur zu gerne bereit. Ich lasse mich nieder und kuschle locker eine halbe Stunde mit dem Kater, der über diese Zuwendung sichtlich hocherfreut ist. Immer wieder klettert er auf mir herum und reibt seinen Kopf an mir. Dieser kleine Kerl hat mir heute definitiv den Tag gerettet. Als ich mich auf den Weiterweg mache, folgt er mir noch ein gutes Stück, bis er zurückbleibt. Hach, ich hätte ihn schon gerne in meinen Rucksack gepackt und mitgenommen.
Als ich die Straße erreiche, entdecke ich ein Vorfahrt-Beachten-Schild, auf dem eine Katze abgebildet ist. Was bedeutet das wohl? Anhalten für kuschelbedürftige Katzen? Das passt auf jeden Fall. Bisher waren mir die Katzen auf der Insel nicht allzu freundlich gesinnt, aber von nun an sollte sich das ändern.
Ich erreiche die Abzweigung, an der ich mich entscheiden muss, ob ich einen Umweg über die Küstenstadt Port de Sollér gehen will oder den direkten Weg nach Sollér nehme, der mich locker eine Stunde früher zum Ziel bringt: Ein Hostel in der Stadt, das ich heute Morgen gebucht habe. Nach drei Nächten im Zelt freue ich mich auf eine Dusche, ein Bett und Auflademöglichkeiten.
Ich setze mich erstmal auf die Trockensteinmauer an der Kreuzung und esse etwas, während ich hin und her überlege. Normalerweise wäre das keine Frage, ich würde den Umweg gehen, denn er verspricht ein paar schöne Küstenausblicke und sogar einen Leuchtturm. Meine Achillessehne lässt mich das jedoch in Frage stellen. Ich denke darüber nach, ob es das wirklich wert ist und ob ich damit riskiere, meine Wanderung nicht fortsetzen zu können.
Letztlich siegt doch der Ehrgeiz und ich mache mich auf den Weg zur Küste. Ein paar Kilometer mehr werden schon nicht über Sieg oder Niederlage entscheiden. Der GR 221 führt erstmal aussichtslos durch den lichten Wald und über ein paar für meine Sehne unangenehme Felsen, dann erreiche ich jedoch die Steilküste mit dem weißen Leuchtturm und einer herrlichen Sicht auf die Bucht von Port de Sollér mit seinem Yachthafen.
Ich steige langsam die Straße hinab in die Stadt, die außerhalb der Saison wie ausgestorben wirkt. Im Sommer muss dies ein beliebter und mit Touristen vollgestopfter Badeort sein, denn es gibt hier riesige Hochhaushotels, richtige Bettenburgen. Im Sommer steigt die Anzahl der Bewohner Mallorcas von 900.000 auf knapp 1,5 Millionen Bewohner und Besucher an, was jetzt im Januar kaum vorstellbar ist. Kein einziger Mensch befindet sich auf der Strandpromenade. Ich genieße diese Ruhe.
Der Rest besteht aus einer Mischung aus Roadwalking und kleinen Seitenpfaden, nichts Aufregendes, aber eben auch nichts Schwieriges, was mir sehr gelegen kommt. Ich treffe noch auf eine weitere Kuschelkatze und zwei weitere, die aus einem Mülleimer springen als ich mich ihnen nähere. Diese sind an Streicheleinheiten jedoch nicht interessiert. Ich spaziere an Feldern voller saftig aussehender Orangen- und Zitronenbäume vorbei. Vor mir kann ich bereits die Berge ausmachen in die ich morgen hinein wandern werde und die den Hintergrund für die Stadt Sollér bilden.
Sollér gefällt mir gar nicht. Es ist eine richtige Stadt und demnach ist viel los. Die Gassen sind sehr eng und die Gehsteige gerade mal 20 cm breit, was die Autos jedoch nicht daran hindert an mir vorbeizubrausen. Hin und wieder knattert auch ein Motorrad vorbei, das in diesen engen Gassen besonders laut wirkt. Mir ist das nicht geheuer und viel zu viel Lärm.
Ich bin froh endlich das Hostel zu erreichen, wo ich meinen Wandertag beende. Dort lasse ich alles fallen, stöpsel meine Gerätschaften ein und gehe duschen, was ich ausgiebig genieße. Es ist ein so herrliches Gefühl nach einer längeren Zeit voller körperlicher Aktivität zu duschen. Es waren zwar nur vier Tage, aber ich habe das Gefühl mir das verdient zu haben. Ich wasche meine Socken und meine Unterwäsche ordentlich im Waschbecken durch und hänge sie zum Trocknen auf. Ich habe nur zwei Paar Socken und zwei Unterhosen und das jeweils zweite Paar ziehe ich an, wenn ich das andere wasche und trockne. Es erfordert mehrere Spülgänge bis meine Socken kein braunes Wasser mehr produzieren.
Es sind außer mir nur zwei andere in dem großen 14-Bett-Zimmer des Hostels. Sie sehen auch danach aus, als würden sie wandern, ich stufe sie aber zunächst als Tageswanderer ein. Ich bin sehr mit mir selbst beschäftigt, meine ganzen kleinen Aufgaben zu erledigen, daher kommen wir nicht dazu uns zu unterhalten. Ich hatte mir vorgenommen die beiden zu fragen ob sie etwas essen gehen wollen, aber als ich zurück ins Zimmer komme, sind sie bereits aufgebrochen.
Also mache ich mich allein auf den Weg zu einer Pizzeria um die Ecke, wo ich Pizza und einen großen Salat in mich hineinschaufele. Die Cola wird auf Mallorca ganz amerikanisch immer mit Eis serviert, was ich mir zunutze mache. Ich fische den Eiswürfel aus meinem Glas und stecke ihn mir in meine Socke, um meine Achillessehne zu kühlen. In der Apotheke hole ich mir noch mehr Ibuprofen und Kältespray, um auch unterwegs kühlen zu können. Ich hoffe, dass ich damit gut gerüstet bin und morgen weitermachen kann.
Tatsächlich fühlt sich meine Achillessehne bereits am Abend besser an. Ich werde morgen trotzdem eine kürzere Etappe machen, um mich zu schonen. Hoch in den Bergen gibt es ein Refugi, das Tossals Verds. Ich habe zwar keine Buchung, da man online nur drei Tage im Voraus buchen kann, aber ich schätze, dass um diese Jahreszeit kein Bettenmangel herrschen wird. Im Notfall kann ich immer noch zelten.
Ich bin müde, der Tag war anstrengend und letzte Nacht habe ich nur wenig Schlaf bekommen. Daher schlafe ich schnell ein und tief und fest bis zum nächsten Morgen. Meinem Körper hat wohl nicht nur Essen, sondern auch ein bisschen Schlaf gefehlt.
Tag 5: In guter Gesellschaft
Sollér bis Refugi Tossals Verds
17 km / 5 h / 1.050 hm
Am Morgen stellt sich heraus, dass die anderen zwei in meinem Zimmer tatsächlich ebenfalls den GR 221 wandern. Die ersten, denen ich begegne. Chris aus Deutschland und Peter aus England. Sie sind einen Tag vor mir gestartet. Sie zelten allerdings nicht und gehen von Unterkunft zu Unterkunft, weshalb ich sie irgendwo unwissentlich überholt habe, während sie wahrscheinlich in einer Stadt waren.
Ich will jedoch noch ein paar Empanadas und Brot kaufen, weshalb ich mich vorerst von ihnen verabschiede. Wir würden uns später sicherlich noch begegnen, denn sie werden auch auf dem Refugi übernachten. Sie haben mir versichert, dass es sicher einen Platz für mich gibt, denn bisher waren die Refugis in denen sie übernachtet haben immer ziemlich leer. Verrückt, wenn man überlegt, wie ausgebucht diese Refugis später im Jahr sind. Warum wandert keiner den GR 221 im Januar? Mir erscheint das perfekt. Aber ich bin froh drum, dass andere das anders sehen.
Das Wetter sieht zunächst gut aus, ein blauer Himmel strahlt mir entgegen, nur ein paar Wolken wabern um die hohen Berge herum. Ich gelange nach Biniaraix, eine süße kleine Stadt in deren Hintergrund die höchsten Berge der Insel thronen.
Nun folgt ein langer Aufstieg, der sich in vielen Serpentinen den Berg hinaufwindet. Der Weg ist einfach, denn er ist gut ausgebaut und nicht allzu steil. Es gibt kleine Stufen, deren Anzahl angeblich 2.000 beträgt. Ich habe nicht nachgezählt. Ich komme gut voran und meine Achillessehne meldet sich auch nicht, perfekt. Übertreiben will es trotzdem nicht.
Ich wandere durch terrassenförmig angepflanzte Oliven- und Johannisbrotbäume. Es gibt immer mal wieder Brücken, die nutzlos über ausgetrocknete Flüsse führen. Irgendwie erinnert mich die Landschaft, die Trockenheit, das Klima stark an Kalifornien. Ich komme an einigen Wasserhähnen vorbei, die am Wegesrand aus den Mauern ragen. Einige von ihnen funktionieren sogar. Es ist das erste Mal, dass ich nutzbares Wasser auf dem Trail sehe. Der GR 221 führt nun durch direkt am Wegesrand steil aufragende Felsen, das sogenannte Nadelöhr.
Kurz vor dem höchsten Punkt hole ich dann die Jungs ein. Von hier an gehen wir gemeinsam. Das gibt meiner Wanderung eine Wende. Ich bin nun nicht nur in unterhaltsamer Gesellschaft, sondern ich sollte von nun an auch nicht mehr zelten und stattdessen den Luxus der Zivilisation in Form von Refugis nutzen. Der Wind hier oben ist kalt und ich muss mir bald meine Fleecejacke überziehen und meine Hände in den Ärmeln verstecken. Beim Aufstieg war mir warm genug, aber nun führt uns der GR 221 erstmal abwärts bis zum Stausee Cúber.
Wir treffen auf ein kleines Pferd und einen Esel mitten im Nirgendwo. Das Pferd knabbert frech an meiner Bauchtasche herum. Der Esel hingegen ist mehr zum Kuscheln aufgelegt. Beide fühlen sich so schön warm unter meinen Händen an. Ich würde gerne mein Gesicht in ihrem Fell vergraben, denn mir ist ein wenig kalt. Der blaue Himmel hat sich verflüchtigt und es ist grau. Als wir den großen Stausee erreichen, fängt es sogar an zu tröpfeln.
Wir nehmen nun die alternative Route über den Pas de Llis in Angriff. Er ist anspruchsvoller, aber auch interessanter als der originale GR 221. Er ist etwas kürzer, wartet dafür aber mit ein paar Extrahöhenmetern auf. Normalerweise hat man hier eine wunderschöne Aussicht in deren Genuss wir heute allerdings nicht kommen. Dazu müssen wir zunächst noch einmal aufsteigen, was uns wieder aufwärmt. Die Felsen werden vom Regen rutschig und wir müssen unsere Schritte mit Bedacht setzen. Auf dem höchsten Punkt von 900 m hätten wir normalerweise eine schöne Aussicht auf den Stausee und den höchsten Berg Mallorcas. Heute blicken wir nur in verschiedene Schattierungen von Grautönen. Wir erreichen eine Steinmauer, hinter der sich irgendwo ein Flugzeugwrack befinden soll. Es ist nicht allzu weit vom Trail entfernt, aber durch die dicke Nebelsuppe können wir nicht viel rechts und links vom Weg wahrnehmen.
Tatsächlich entpuppt sich diese Alternative als recht abenteuerlich, was die mangelnde Aussicht wettmacht. Die Unterhaltung mit den Jungs trägt ebenfalls dazu bei diesem Abschnitt sehr kurzweilig zu machen. An einer Stelle gilt es ein paar exponierte Felsen hinaufzuklettern, wobei eine in die Felswand geschlagene Eisenkette hilft. Dafür bin ich dankbar, denn der unter mir gähnende Abgrund ist schon recht nah. Von irgendwoher hören wir Ziegen meckern. Der Schall trägt jegliche Geräusche sehr weit in diesen Einschnitt zwischen den Felsen, was ich mit einem lauten „Wuhu!“-Ruf beweise.
Wir machen keinerlei Pausen, seitdem wir aufeinander getroffen sind, denn es ist zu kalt und ungemütlich um sich irgendwo hinzusetzen. Eine Aussicht gibt es auch nicht zu genießen. Wir wollen zur Hütte.
Der letzte Teil vor der Hütte sieht geradezu gespenstisch aus. Die Landschaft ist in Nebel gehüllt aus dem immer wieder Bäume und hohe Gräser herausragen. Rosmarin wächst duftend am Wegesrand. Es sieht aus wie ein Urwald. Ich rechne fast damit, dass gleich ein Dinosaurier um die Ecke kommt, und ich frage mich ob es wohl Dinosaurier im Gebirge gab. Es wurden hier zwar Fossilien vom sogenannten Tramuntanasaurus gefunden, der eher einer übergroßen Eidechse glich, aber vor über 250 Millionen Jahren gab es diese Berge noch nicht einmal und Mallorca war Teil des Superkontinents Pangäa. Zudem herrschte damals hier ein eher tropisches Klima.
Mittlerweile doch etwas durchweicht erreichen wir das Refugi, das plötzlich hinter einem großen Felsen auftaucht und wie ein sicherer Hafen in diesem Wetter wirkt. Es ist mir fast egal wie das Wetter ist, wenn ich am Tagesende an einem warmen, trockenen Ort gelange. Ich werde heute definitiv nicht zelten, wir sind doch recht nass geworden. Als ich eintrete, bin ich überwältigt. Ein Feuer prasselt im Kamin, es ist gemütlich, ich bekomme neben einem Bett auch Frühstück und Abendessen, es gibt warme Duschen und auch Steckdosen zum Aufladen. Und das alles für 29 Euro die Nacht.
Wir bekommen sogar heißes Wasser und ich kann endlich einer meiner Trekkingmahlzeiten genießen, wie es sich gehört – nämlich warm. Heute hatte ich Frühstück im Hostel, mein Trekkingmahlzeit-Mittag und ich werde sogar Abendessen bekommen. Ich weiß gar nicht wo ich das alles hinessen soll. Ich bin so begeistert von all diesen Dingen, dass ich ganz aufgeregt bin, wie ein Kind an Weihnachten. Das ist sogar besser als Weihnachten, ich kann mir vorstellen, wie meine Augen funkeln in Anbetracht dieser Fülle von Annehmlichkeiten. Wenn man längere Zeit auf gewisse, oft selbstverständlich wirkende Dinge verzichtet, dann werden sie zu etwas ganz Besonderem. Dazu gehören Duschen, Bett, warmes Essen, trocken und warm zu sein.
Und die Jungs hatten all diese Annehmlichkeiten die ganze Zeit, zu diesem Preis? Ich hatte keine Ahnung was mir entgeht. Ich mochte meine einsamen Tage im Zelt, aber vielleicht ist es Zeit für einen Wechsel. Zumindest solange das Wetter so eklig ist. So habe ich eine angenehme Balance zwischen Wildnis und Komfort auf meiner Wanderung auf dem GR 221.
Wir hängen unsere nassen Sachen zum Trocknen auf einem Wäscheständer beim Feuer auf und stellen unsere durchweichten Schuhe dazu. Dann sitzen wir beim Feuer, bis es Abendessen gibt. Leider stellt sich heraus, dass es sich um einen Fischauflauf handelt. Da ich keinen Fisch esse, bin ich dann doch recht enttäuscht. Ich habe nicht erwartet auf einer Berghütte Fisch serviert zu bekommen. Etwas Pech, denn die Jungs erzählen mir, dass sie bisher nie Fisch serviert bekommen haben. Im Gegensatz zu mir sind sie davon begeistert. Ich halte mich an den Salat und als ich den verschwundenen Hüttenwart finde, serviert er mir noch eine vegetarische Suppe und gekochte Eier. So bin ich definitiv pappsatt am Ende des Tages. Müde bin ich auch wieder, ich schlafe ohne Probleme ein. Falls jemand geschnarcht haben sollte, habe ich es nicht mal bemerkt.
Außer uns befinden sich nur eine Handvoll anderer Wanderer auf der Hütte, die meisten von ihnen Einheimische und auf kürzerer Wanderung unterwegs. Nur Radooza aus Tschechien wandert auch den GR 221.
Tag 6: Aussichtslos durch Regen und Nebel
Refugi Tossals Verds bis Kloster Lluc
14 km / 4,5 h / 850 hm
Heute ist ein richtig miesfieser Tag. Es ist kalt, nass und windig. Als wir nach dem Frühstück aus dem Refugi heraustreten, sehen wir noch ein paar hoffnungsgebende blaue Flecken am Himmel, sogar den ein oder anderen Sonnenstrahl, der durch die Wolken bricht und das Tal unter uns erleuchtet. Die Berge in der Richtung in die wir gehen sind jedoch von dichten grauen Wolken umhüllt. Die Hoffnung stirbt zuletzt, daher bin ich noch frohen Mutes, als wir unseren Wandertag gemeinsam starten.
Die Flüsse sind nun endlich gefüllt, sogar der Trail selbst ist fast ein Bach, so wie das Wasser hier herunter rinnt. Bedröppelte Schafe sitzen am Wegesrand, während wir uns durch einen schönen Steineichenwald bewegen, der uns noch guten Wetterschutz gibt.
Allerdings schrauben wir uns immer höher und lassen irgendwann die Bäume hinter uns. Es fängt heftiger an zu regen und der Wind peitscht uns das Wasser ins Gesicht. Eigentlich wird diese Etappe als die schönste auf dem ganzen GR 221 beschrieben, davon können wir heute jedoch nicht allzu viel sehen. Mehr als 30 m Sichtweite haben wir nicht, daher bleiben uns jegliche Aussichten verborgen.
Wir marschieren eisern voran, denn in diesem Wetter will wirklich keiner von uns Pause machen. So erreichen wir den höchsten Punkt des gesamten GR 221, den auf 1.205 m gelegenen Pas Coll des Prats. Außer einer Gruppe Reitern können wir hier oben rein gar nichts sehen. Eigentlich kann man rund um das Refugi eine Vielzahl an schönen Gipfeln besteigen, darunter der mit 1.364 m zweithöchste Berg Mallorcas, der Puig de Massanella. Für uns fallen all diese Optionen heute jedoch leider aus. Wir könnten ohnehin nichts von ihrer herrlichen Aussicht sehen.
Es regnet nun stärker und der Mangel an Fotos von diesen Stunden im Nebel, Wind und Regen indiziert deutlich, wie unangenehm es ist. Wir werfen uns in unsere volle Regenmontur aus Regenhose und Regenjacke und sogar die Handschuhe kommen zum Einsatz. Es ist wirklich bitterkalt hier oben. Wir halten unsere Köpfe auf den Weg vor unseren Füßen gerichtet und kämpfen uns schnellen Schrittes weiter voran. So bleiben wir warm. Denn jedes Mal, wenn wir nur kurz stehen bleiben um aufeinander zu warten oder auf die Karte zu schauen kühlen wir schnell aus.
Nur unser Engländer Peter behält ein Lächeln auf den Lippen und ruft begeistert aus „This is like home!“ Er hat viel Erfahrung mit dieser Art von Wetter in Großbritannien gemacht, für ihn ist dieser Tag sicherlich nicht der schlechteste seiner Wanderkarriere. Außerdem gibt es noch ein paar Trailrunner, die munter und fröhlich in Shorts an uns vorbeispringen. Ein herrlicher Tag für einen Lauf in den Bergen.
Ich hingegen bin froh, wenn wir endlich das Kloster von Lluc erreichen. Ich habe schon vor ein paar Stunden entschieden dort heute einzukehren, denn in dem Wetter will ich weder weiter wandern noch zelten. Dazu bin ich ziemlich durchnässt und sehne mich nach einer heißen Dusche und einem Ort, der mich und meine Kleidung trocknet. Beim Abstieg buche ich mir kurzerhand ein Zimmer im Klosterhotel, was im Januar anscheinend selbst am Wochenende überhaupt kein Problem ist. Kurz vor den Klostermauern wandern wir an Grillplätzen vorbei, die am heutigen Samstag trotz des Sauwetters gut genutzt werden. Ich schätze hier unten hat es nur wenig geregnet und es klart bereits auf.
Kurz darauf stehen wir an der Rezeption und checken ein. Ich habe ein schönes Zimmer mit Bergblick, aber am meisten freue ich mich über eine lange heiße Dusche. Mittlerweile sind die Wolken aufgerissen und geben ein paar Fetzen blauen Himmels frei. Nur in den Berge, aus denen wir kamen, kleben noch immer die grauen Wolkenmassen. Nachdem ich wieder aufgewärmt in trockene Kleidung schlüpfe und die nasse auf der Heizung vor sich hin trocknet, erkunde ich das Klostergelände. Es gibt einen richtig liebevoll angelegten Botanischen Garten, der wie ein kleiner Elfenwald wirkt. Ich entdecke eine kleine in einen Baum gebastelte Tür mit Treppenstufen. Gerade groß genug für eine Elfe. Jemand hat sich hier kreativ ausgelebt. Egal ob man sich nun für Pflanzen interessiert oder nicht, dieser kleine Garten ist einen Besuch wert. Die schöne Basilika ist ebenfalls beeindruckend mit ihrer prunkvollen Dekoration und einer spektakulären Kuppel, die mit Heiligenbildern verziert ist. Ich bin wirklich froh heute hier eingekehrt zu sein, denn das Kloster war definitiv einen genaueren Blick wert.
Eine Frau verkauft Bunyols, ein typisches mallorquinisches Gebäck. Sie sehen aus und schmecken wie kleine Donuts, der Teig wird aber neben Mehl, Ei und Hefe zusätzlich mit Kartoffeln hergestellt und dann im heißen Fett gebacken um anschließend mit Zucker bestreut zu werden. Wirklich lecker und die Kalorien kommen mir nur recht. Sogar die heiße Schokolade aus dem Getränkeautomaten ist ziemlich gut.
Vor dem Eingang des Klosters entdecke ich einen Stein mit Camino-Muschel, der den 1.012 km langen Camino zwischen Santiago de Compostella und Lluc verkündet. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob man die 170 km zum Festland Spaniens schwimmen muss, wahrscheinlich nicht.
Am Abend genießen wir ein sehr auswahlreiches Menü im klostereigenen Restaurant. Drei Gänge, die uns nur 15 € kosten. Es ist kein kulinarisches Highlight, aber bei dem Preis gibt es wirklich nichts zu meckern. Ich will nur eins: Satt werden, und das bitte ohne Fisch! Und satt bin ich am Ende des Abends. Der Schokoladenkuchen zum Abschluss will kaum noch rein.
Tag 7: Ein abenteuerlicher Zusatzgipfel
Kloster Lluc bis Pollença
19,2 km / 6,5 h / 760 hm
Der Morgen beginnt sehr kalt, aber sonnig. Ich mummel mich in meine Daunenjacke und auch meine Handschuhe kommen wieder zum Einsatz. Ich bin froh, dass wir das schlechte Wetter hinter uns lassen. Kälte macht mir nicht viel aus, aber ihre Kombination mit Nässe kann ich gar nicht leiden. Am frühen Morgen zieht noch Nebel durch die Landschaft, die Sonne sendet ihre Strahlen durch ihn hindurch, was wirklich magisch aussieht.
Heute begleitet uns Radooza aus Tschechien, die die Jungs schon länger kennen. Ich habe sie das erste Mal im Refugi Tossals Verds getroffen. Auch sie wandert den GR 221, mit dem kleinsten Rucksack von uns allen, denn sie zeltet nicht. Die Jungs zwar auch nicht, aus irgendeinem Grund sind ihre Rucksäcke aber größer und schwerer als meiner. So ist unsere kleine Trail Family auf vier Personen angewachsen.
Um für die mangelnden Aussichten der letzten Tage Ausgleich zu schaffen, beschließen wir einen Seitentrip auf den Puig Tomir zu machen. Die Strecke nach Pollença, unserem heutigen Ziel, ist einfach und eher kurz, daher ist der extra Gipfel locker drin. Steil steigen wir durch Felsen und Schotter zum Gipfel auf. An einer Stelle gibt es sogar Metallketten und Trittstifte. Hier kommt uns ein Trailrunner mit drei Hunden entgegen, die allesamt flink wie die Bergziegen problemlos abklettern, was doch ein etwas ungewöhnlicher Anblick ist. In den Alpen habe ich Leute ihre Hunde schon über solche Stellen tragen gesehen.
Die Kraxelei ist sehr unterhaltsam und es dauert nicht lange bis wir den 1.104 m hohen Gipfel erreichen. Hier sitzen wir eine Weile, genießen die Aussicht und sehen den Mönchsgeiern dabei zu wie sie über uns hinweg kreisen. In der Ferne können wir bereits das Ziel des GR 221 sehen – die Bucht von Port de Pollença. Wir haben zwar keinen blauen Himmel oder Sonne, aber es regnet nicht und wir haben endlich wieder eine Aussicht, womit ich hoch zufrieden bin.
Der Abstieg ist dann doch etwas abenteuerlicher als angenommen. Anstatt den gleichen Weg zurück zum GR 221 zu gehen, wollen wir einem anderen Trail folgen, der uns wieder zu ihm zurückbringen soll. Dieser Trail ist jedoch nicht markiert. Nur ein paar gelegentliche Steinmanndln weisen den Weg und der ist mit der ein oder anderen Kraxelei verbunden. Zuerst geht es weglos, aber sanft über Felsen und kratzige Büsche hinab, dann steigen wir vorsichtig am steilen Hang entlang hinunter, traversieren ihn immer mal wieder, und klettern über und zwischen Felsen ab. Lange Gräser entwickeln sich immer wieder zu Stolperfallen, wenn sie sich um meine Füße wickeln. Ich setze meine Schritte langsam und kontrolliert. Hier will ich nicht abstürzen, denn der Abgrund ist tief.
Wir kommen wohlbehalten wieder am GR 221 an und der Rest des Tages verläuft eher unspektakulär im Steineichenwald zu dem sich ein paar Aleppokiefern gesellen, deren Nadeln 10 cm lang sind. Sie wurden im 16. Jahrhundert nach Mallorca eingeschleppt, sind also keine einheimische Art. Schließlich wandern wir an einem beschaulichen Bach entlang. Ein Highlight ist die spektakuläre weiße Platanenallee, die die Zufahrt zu einer Villa säumt. Wir erreichen Pollença, wo mich eine Katze warmherzig begrüßt, und damit das Refugi Pont Romà, wo ich wieder spontan ein Bett bekomme.
Der Rest des GR 221 besteht nur noch aus einem 6 km langen Roadwalk zur Küste, was heute keinen Sinn mehr hat, denn dort gibt es keine günstigen Übernachtungsmöglichkeiten. Daher werden wir morgen alle gemeinsam den Endpunkt erreichen und den letzten Tag ganz gemütlich ausklingen lassen.
Wir spazieren in die Stadt, essen frische Churros, um den Hunger bis zum Abendessen zurückzudrängen, denn die Restaurants öffnen erst 19 Uhr wieder oder servieren erst dann Essen. Wir gehen in ein recht schick aussehendes Restaurant am Marktplatz, da es auch heute nicht sehr viele Auswahlmöglichkeiten gibt. Es entpuppt sich dann aber als doch nicht als so schick wie es von außen aussieht. Wir vertreiben uns die Zeit mit heißer Schokolade und Gesprächen. Dann endlich können wir bestellen uns machen uns über unsere gut gefüllten Teller her.
Ich bin froh darüber ein paar Tage für mich und in meinem Zelt gehabt zu haben, aber jetzt ist die Gesellschaft auch ziemlich schön. Die Zeit fliegt vorbei, wenn wir uns unterhalten, ich nehme aber die Landschaft um mich herum weniger intensiv wahr. Ich kann mich nur auf eine Sache gleichzeitig konzentrieren, ich kann zwar reden und wandern, aber nicht reden und die Details der Landschaft in Augenschein nehmen. Aber da es die letzten Tage ohnehin nur wenig zu sehen gab, war das eh hinfällig. Ich denke ich hatte eine gute Mischung aus Rückzug und Sozialkontakt, aus Wildnis und Komfort auf dem GR 221.
Tag 8: Roadwalk zum offiziellen Ende des GR 221
Pollença bis Port de Pollença
6,6 km / 1,5 h / 0 hm
Ich habe mich etwas vor dem längeren Roadwalk heute gefürchtet, aber es stellt sich heraus, dass es einen Pfad neben der verkehrsreichen Straße gibt. Wir müssen also nicht auf der Straße laufen, was viel angenehmer ist. Es ist zwar noch immer laut, aber immerhin müssen wir uns nicht sorgen umgefahren zu werden. Ich halte Roadwalks ja immer für den gefährlichsten Teil eines Trails, nicht etwa die Wildnis.
Wir unterhalten uns die gesamte Zeit über, während wir an Orangenbaumfeldern, Häusern, Zypressen, Kuhweiden und dicken Truthähnen vorbeilaufen. So verfliegt die Zeit im Flug und wir erreichen die Ausläufer von Port de Pollença, von wo es nicht mehr weit bis zum Hafen ist. Hier gibt es sogar einen Burger King, was wohl den Inbegriff von Tourismus darstellt. Wir erreichen das Meer im Nordwesten der Insel und damit schließt sich der Kreis. Ein Schild oder ähnliches gibt es nicht, nur das blaue Meer. Wir beglückwünschen uns zu unserer Leistung und setzen uns auf eine Bank, um die Sonne zu genießen, die heute wieder ihr Bestes gibt. Es ist sogar möglich am Ende doch nochmal die Shorts herauszuholen und wir stecken unsere Füße ins kalte Meerwasser.
Dann suchen wir uns ein Café, wo wir heiße Schokolade und Cola trinken und später zu Mittag essen, bevor wir uns voneinander verabschieden würden. Radooza fährt schon früher zum Flughafen, Peter bleibt noch ein paar Tage auf Mallorca und Chris und ich fahren am Nachmittag mit dem Bus problemlos nach Palma zurück, von wo wir das Aiport Shuttle zum Flughafen nehmen. Ich hatte nur meinen Hinflug gebucht, um flexibel bezüglich der Zeitplanung zu sein und erst vorgestern Abend meinen Rückflug gebucht. Ryanair fliegt trotz Spontanbuchung richtig günstig nach Memmingen oder Nürnberg, von wo aus ich den Bus nach München zurücknehmen kann.
Fakten zur Tour
Trekkingtour GR 221 auf Mallorca
Dauer: 6 bis 14 Tage
Distanz: 145 km
Ausgangspunkt: Port d’Andratx, Mallorca
Gesamtanstieg: 6.530 hm
Schwierigkeit: mittel
Jahreszeit
Ich bevorzuge die kalte Jahreszeit, denn Mallorca bietet im milden Winter ideale Wandertemperaturen und vor allem ist nur wenig los. Unterkünfte müssen nicht im Voraus gebucht werden, die Refugis haben mich problemlos aufgenommen, als ich aufgetaucht bin. Wildzelten ist kein Problem. Und große Strecken des GR 221 hatte ich ganz für mich. Ich schätze das sehr. Man sollte sich aber darüber bewusst sein, dass November bis Januar definitiv Nebensaison ist, und viele Restaurants, Supermärkte und Unterkünfte geschlossen haben. Dazu gibt es weniger zur Verfügung stehendes Tageslicht, was die täglich bewältigten Distanzen deutlich einschränkt.
Dies sollte bei der Planung berücksichtigt werden. Viele Unterkünfte und Geschäfte öffnen erst im März wieder, was den März vielleicht zu einem guten Wandermonat macht, wenn man es nicht auf Einsamkeit und Flexibilität anlegt. Ich kann mir vorstellen, dass das Aufblühen der Orangen- und Zitronenbäume im Frühling auch sehr schön ist. Vom Sommer ist abzuraten, da es dann zu heiß wird. Der Winter wiederum bedeutet, dass es möglich ist auf Regen, Wind, Nebel und in höheren Lagen auch auf Schnee zu treffen.
Anreise
Mallorca ist schnell und preiswert zu erreichen, sodass auch einem Section-Hike nichts entgegen spräche um den GR 221 somit in mehreren Reisen in Angriff zu nehmen.
Flüge
Von München mit Vueling, Lufthansa, Condor oder Eurowings,
Ryanair fliegt sehr günstig von Nürnberg und Memmingen
Busse auf Mallorca
Mit dem Bus kommt ihr einfach und günstig zu allen Orten entlang der Wanderung, was bedeutet, dass ihr auch auf andere Unterkünfte in umgebenden Orten ausweichen oder sogar an einem Ort bleiben und jeweils Tagesetappen machen könnt.
Der Airport Shuttle bringt euch im 20-Minuten-Takt in einer halben Stunde nach Palma und zurück zum Flughafen (einfache Fahrt 6 €, Hin- und Rückfahrt 8 €).
Bus 101 bringt euch von Palma zum Startpunkt in Port d’Andratx (1 Stunde Fahrt, 3,60 € über Tapping oder Online, 6 € bar beim Fahrer)
Bus 301 bringt euch von Port de Pollença zurück nach Palma (1 Stunde Fahrt / 4,50 € über Tapping oder Online, 7,50 € bar beim Fahrer)
Bezahlt werden kann in den Bussen (außer im Airport Shuttle) bequem mit einer EC- oder Kreditkarte mit NFC-Chip an den Tapping Geräten in den Bussen (Tappen beim Ausstieg nicht vergessen, bedeutet aber auch nur 30 Cent Aufschlag falls vergessen) oder online gebucht werden. Es kann auch bar beim Fahrer bezahlt werden, das kostet aber mehr.
Resupply
Es ist ratsam zumindest im Winter genügend Proviant dabei zu haben, denn oft gibt es keine Verpflegungsmöglichkeiten, was vor allem für Trinkwasser gilt. Die Flüsse sind größtenteils ausgetrocknet und meist lässt sich nur in den Städten Wasser bekommen.
Nur in Palma kann man eine Gaskartusche bekommen. Aber Achtung: Der Decathlon im Zentrum der Stadt hat keine Gaskartuschen! Die Outdoorläden in der Stadt haben sonntags geschlossen. Dann gibt es nur noch die großen Decathlons außerhalb, die im Januar auch keine kleinen Gaskartuschen verfügbar hatten. Am meisten bietet sich der Decathlon im FAN Mallorca Einkaufszentrum in Flughafennähe an. Online könnt ihr checken ob das gewünschte Produkt vorrätig ist.
Unterkünfte
Wildzelten ist offiziell nicht erlaubt, in den Wintermonaten jedoch einfach zu bewerkstelligen. Bitte beachtet dafür jedoch die Leave-No-Trace-Regeln und beschränkt euch auf Stealth Camping (unauffällig und idealerweise nur Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang). Wenn das Wetter gut ist lässt sich gut cowboy-campen, was bedeutet, dass ihr euch besser verstecken könnt als mit einem Zelt. Der Sternenhimmel ist es wert.
Der GR 221 kann auch ganz bequem von einer Unterkunft zur anderen gewandert werden. Eine Mischung aus Refugis und Privatunterkünften macht es möglich das Gepäck klein zu halten. Die Übernachtung in den Refugis ist zudem sehr günstig (14 € pro Person im Schlafsaal), Frühstück, Mittag und Abendessen sind ebenfalls sehr günstig möglich. Im Refugi Tossals Verds habe ich 29 € für Übernachtung, Abendessen und Frühstück gezahlt. Die Refugis verfügen darüber hinaus über warme Duschen, Steckdosen zum Aufladen eurer Geräte und in den kälteren Monaten prasselt ein wärmendes Feuer im Kamin. Purer Luxus, wenn ihr mich fragt. Was will man mehr. Offiziell zelten darf man nur am La Trapa Kloster (nur mit Genehmigung vom GOB) und dem Kloster bei Lluc.
Gebucht werden können die öffentlichen Refugis hier: https://seu.conselldemallorca.net/refugis/de/ruta/. Online ist jedoch eine Buchung nur drei Tage im Voraus möglich. Ansonsten einfach anrufen oder, in den Wintermonaten, einfach auftauchen. Zumindest unter der Woche ist es einfach einen Platz zu bekommen.
Die erste Nacht habe ich in Palma verbracht, denn in Port d’Andratx gibt es keine günstigen Unterkünfte.
Folgende Refugis liegen auf dem GR 221:
– Privates Refugi Finca Ses Fontanelles
– Refugi Galatzo liegt etwas abseits des Wegs vor Estellencs (Achtung: Involviert einen längeren Abstieg, den es am nächsten Tag wieder hochzugehen gilt)
– Refugi Can Boi in Deià
– Refugi de Muleta in Port de Sollér
– Refugi Tossals Verds
– Refugi Son Amer in Lluc
– Refugi Pont Romà in Pollenca
Somit kann man einen großen Teil der Wanderung gut mit Refugis abdecken.
Vorschlag Planung mit Unterkünften
Folgenden Plan hatten meine Mitwanderer, der euch eine gute Idee für eine Planung mit Übernachtungen in Refugis und Hotels gibt:
1. Nacht: Ses Fontanelles
2. Nacht: Refugi Galatzo (Achtung: Abseits des GR 221!), alternativ Bus von Estellencs nach Esporles oder Deià und am nächsten Morgen zurück
3. Nacht: Safita Backpackers in Esporles
4. Nacht: Refugi Can Boi in Deià
5. Nacht: Refugi de Muleta in Port de Sollér oder Hostel Sollér
6. Nacht: Refugi Tossals Verds
7. Nacht: Refugi Son Amer oder Kloster Lluc
8. Nacht: Refugi Pont Romà
Kosten
Ich habe insgesamt 530 € ausgegeben, was sich folgender Maßen aufteilt: