Der West Highland Way führt 160 km von den schottischen Lowlands ins Hochland. Der Fernwanderweg führt über malerische Seen, wilde Täler, Moore. Unsere Herausforderung: Der erste richtige Fernwanderweg für uns, dazu noch im Winter.
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ToggleSchon beim Landeanflug auf Schottland können wir schneebedeckte Hügel und Flächen erblicken. Schon jetzt stellen wir uns die Frage, ob wir nicht völlig verrückt sind, dieses Vorhaben zu dieser Jahreszeit umzusetzen. Es besteht darin, den 95 Meilen langen West Highland Way im Winter zu laufen – mit Zelt. Es ist unsere erste Mehrtageswanderung mit Zelt und Rucksack, und keiner von uns weiß wirklich, was er tut.
Neben des etwas ungemütlich anmutenden Wetters hat das aber auch Vorteile: Die Mücken bleiben aus und unsere Haut wird verschont. Etwas mulmig ist uns bei dem Gedanken zwar schon, vor allem der an die nächtlichen Temperaturen, aber uns steht der Sinn nach Abenteuer. Der West Highland Way führt vom Norden von Glasgow, am Loch Lomond und sanften grünen Hügeln vorbei, durchs Rannoch Moor, an klaren Seen vorbei, bis nach Fort William am Fuße des größten Berges Schottlands – dem Ben Nevis.
Tag 1 – Start des West Highland Ways
Milngavie bis Drumquassle Farm: 17,5 km
Wir nehmen früh den Bus nach Glasgow. Auf der Fahrt dorthin überraschen uns dicke Schneeflocken und eine winterliche Landschaft. Wir sind schon etwas schockiert, was die Aussichten auf die nächsten Wandertage betrifft. Als wir allerdings in Glasgow aussteigen, scheint wieder die Sonne und das Winterwunderland erscheint uns wie ein Traum. Wir begeben uns in einen Outdoorladen, um eine Gaskartusche zu erstehen, um dann mit dem Bus weiter in den Vorort Milngavie zu fahren, wo der West Highland Way beginnt. Ausgesprochen wird der Ort Milngavie allerdings „Mullguy“ und wer das nicht tut, wird a) nicht verstanden und b) belächelt.
Nach meinem Hinweis, dass Sidneys dünne Isomatte wohl kaum mehr als eine Gymnastikmatte sei und ihn nicht ausreichend vor der Bodenkälte schützen würde, besorgt er sich noch schnell eine weitere im kleinen Outdoorladen in Milngavie. Besser ausgerüstet und bester Laune starten wir am frühen Nachmittag den Trail, der sanft durch Park und Wald führt. An diesem ersten Tag macht uns das Gewicht auf unseren Rücken noch sehr zu schaffen, insbesondere bei Anstiegen, obwohl es kaum welche gibt.
Natürlich haben wir viel zu viele Sachen dabei. Ich habe keine Ahnung, wie viel mein Rucksack wiegt, weiß aber, dass es zu viel ist. Es ist die erste Mehrtageswanderung mit Zelt für uns beide, und die Tatsache, dass Winter ist, hat mich zu panikartigem Anhäufen warmer Kleidungsstücke verleitet, anstatt auf ein praktischeres Zwiebelprinzip zu setzen. Learning by doing.
Sidney wird langsam bewusst, worauf er sich hier eingelassen hat, aber nun gibt es kein Zurück mehr. Die Sonne scheint und besseres Wetter können wir uns kaum wünschen. Wir erreichen bald einen schönen See und daraufhin ein wunderbares Tal mit Aussichten auf schneebedeckte Berge. Hier können wir uns einmal im Kreis drehen und sehen immer etwas Wunderbares. Wir fühlen uns sehr wohl, besteigen einen kleinen Hügel und genießen die Aussicht.
An diesem herrlichen Tag genießen wir die Aussicht vielleicht ein wenig zu lange. Wir haben noch einen langen Weg vor uns und die Zeit schreitet unbarmherzig voran. Trotzdem lassen wir uns die Pausen in der Sonne nicht nehmen, die uns dazu verleitet, länger zu verweilen, als notwendig. Als wir im Schatten eines Baumes und einer alten Ruine Halt machen, begegnen uns zwei Deutsche aus Hamburg, deren Nationalität wir sofort am Akzent erkennen. Die beiden sollen wir noch häufiger auf dem Weg treffen und sie geben uns Anlass für Wortspiele und Heiterkeit.
Der Rest des Weges ist nun eher beschwerlich, obwohl noch über die Hälfte vor uns liegt. Die Aussicht ist weder schön noch spektakulär. Der Weg führt ein gutes Stück an der Straße und einer Kläranlage vorbei. Erst im Dunkeln erreichen wir nach 17,5 km unser Lager für die Nacht – Drumquassle Farm. Der Rücken schmerzt, die Füße verweigern fast den Dienst. Mühsam und verbissen quälen wir uns die letzten zwei Meilen vorwärts.
Allerdings treffen wir erneut auf die beiden Deutschen, die uns ein wenig unterhalten und die Zeit somit schneller vergehen lassen. Nachdem wir das Zelt aufgebaut haben, der schmerzende Rücken sich ausruhen durfte und der Magen gefüllt ist, genießen wir den leuchtenden Sternenhimmel über uns und den Anblick der Ponys direkt vor uns. Trotz der Kälte der Nacht friere ich nicht, wohl aber Sidney.
Tag 2 – Von Bergen, Seen und dem ersten Regen
Drumquassle Farm bis Loch Lomond: 16 km
Schon bei den ersten Sonnenstrahlen weckt uns der Hahn der Farm und wird nicht müde, dies alle 20 Minuten zu wiederholen. So hartnäckig wir auch versuchen, ihn zu überhören, sehr lange gelingt uns das nicht. Also beginnen wir den neuen Tag, packen mit, vom kalten, mit Eis überzogenen Abwaschwasser, klammen Fingern das Zelt und unsere sieben Sachen. Heute ist der Himmel bedeckt, aber es ist immerhin trocken. Unsere heutige Etappe sieht 16 km vor und wir sind guter Dinge.
Es vergehen nicht viele Meilen und wir treffen abermals auf die zwei Deutschen, die in einem Hostel in der nächsten Stadt übernachtet haben. Man muss wissen, dass nicht nur wenige Leute diesen Weg vollständig im Winter laufen, sondern auch so gut wie keiner den Weg im Winter mit der Idee zu zelten läuft. Es kein Problem, sich das zusätzliche Gewicht von Zelt, Schlafsäcken, Isomatten und Essen zu ersparen, da es immer wieder Hotels auf dem Weg gibt, in die man einkehren könnte. Aber wir ziehen das volle Programm durch, um das ganze Abenteuer zu erleben.
Zwischendurch erzählen wir uns Geschichten. Der weitere Weg führt durch einen Wald und schon bald taucht ein schneebedeckter Berg vor uns auf. Wir stellen mit Erschrecken fest, dass wir wohl darüber sollen. Wir denken wohl beide das Gleiche, als wir uns ansehen: „Da rauf?! Niemals!“ Dabei ist der Conical Hill nur 358 m hoch. Alles andere als ein großes Hindernis, aber in diesem Augenblick kommt er uns unbezwingbar vor. Bevor der Gipfelsturm losgehen soll, machen wir noch eine Pause auf einer Schafwiese.
Hier zeichnet sich hinter den Bergen bereits der Loch Lomond ab, der größte See Schottlands. An ihm werden wir die nächsten Tage entlangwandern. Nachdem wir mal wieder ein bisschen länger als notwendig die Aussicht genossen haben und Sidney seine völlig durchnässten Socken gewechselt hat, beginnen wir, den Berg hinaufzuschnaufen. Nur gut, dass uns dabei keiner beobachtet. Wir finden immer wieder einen Grund, anzuhalten. Vor allem der Aussicht wegen, natürlich.
Oben liegen noch einige Schneefetzen und schneidender kalter Wind pfeift uns um die Ohren. Weiterhin setzt leichter Regen ein. Kein guter Platz, um zu rasten und die Aussicht zu genießen. Aber hier geschieht es, dass Sidney eine wichtige Lektion lernt. Er soll noch viel lernen auf unserer Wanderung, jeden Tag gleich mehrere neue Dinge. Heute ist es die Tatsache, dass es eine reichlich blöde Idee ist, uns auf den Boden zu setzen. Denn dieser ist unter Garantie feucht, auch wenn er nicht so aussieht. So haben wir einen nassen Hintern, und wenn der Wind uns oben die Haut von den Knochen bläst, kommt es zu gewissen Kälteempfindungen.
Also gehen wir schnell weiter und machen uns an den Abstieg, der sich als steil und ungemütlich herausstellt. Ich wiederum lerne hierbei zum einen, dass ich meine Gelenke warmhalten sollte, und zum anderen, nicht untrainiert an so einen Trail heranzugehen. Denn der Abstieg bleibt nicht ohne Folgen für meine Knie.
Nach dem Abstieg landen wir in der kleinen Stadt Balmaha, direkt am Loch Lomond. Hier füllen wir unsere Wasservorräte auf und machen eine Mittagspause in der überdachten Busstation. Wir kochen uns einen Tee und essen ein paar Brote. Direkt vor uns befindet sich der Laden, in dem wir unsere Nahrungsmittel aufstocken wollen. Allerdings geht dessen Tür im Laufe unserer Teeorgie zu. Wir sagen uns, dass das bestimmt nur an dem einsetzenden Regen liegt. Allerdings stellen wir bald fest, dass es eher an den Ladenöffnungszeiten liegt. So müssen wir ohne Einkäufe weiterziehen.
Der Weg führt uns nah am Loch Lomond vorbei, der Regen findet kein Ende und wir halten schon bald Ausschau nach einem Platz zum Zelten. Auch heute droht es schon wieder, vor unserer Ankunft dunkel zu werden. Aber wie das manchmal so ist – wenn wir danach suchen, ergibt sich absolut keine Möglichkeit, unser Zelt aufzuschlagen. Wir laufen durch einen relativ bewaldeten Teil des Weges, der dazu noch einige sumpfige Stellen zu bieten hat. Schließlich finden wir einen Platz mitten im Wald neben einem Bach und stellen unser Zelt direkt am Wegesrand auf. Unsere Füße wollen uns kaum noch einen Meter weitertragen. Wildzelten in Schottland ist zwar nicht direkt erlaubt, jedoch auch nicht verboten. Solange man keinen Müll und keine Spuren hinterlässt, hat keiner etwas dagegen, wenn man sein Zelt irgendwo im Wald aufschlägt.
Ich bin froh, meinen Rucksack von den Schultern nehmen zu können und mich ins Zelt zu verkriechen. Wir essen zu Abend und schlafen mit der Sorge ein, wo wir nun Vorräte für die nächsten Tage herbekommen sollen, da wir in absehbarer Zeit nicht an einer Stadt vorbeikommen.
Etappe 3 – Wir lernen mit jeder Meile dazu
Loch Lomond bis Rowchoish Bothy: 14,5km
Der Bach hat uns letzte Nacht sanft in den Schlaf geplätschert und heute bietet er einen perfekten Platz für eine morgendliche, eisig kalte Katzenwäsche. Regen gibt es heute immer noch und er soll auch für diesen Tag nicht mehr enden. Wir packen unsere Sachen und machen uns auf zum offiziellen Campingplatz, der nicht weit von unserem Nachtlager entfernt liegt. Zum Glück findet sich hier ein kleiner Laden, der das Wichtigste zum Überleben zu bieten hat. Brot gibt es leider nicht, aber die netten Leute geben uns etwas von ihrem eigenen. Dabei kann man lernen, dass die Menschen wirklich überall freundlich sind, solange man ihnen nur freundlich und dankbar entgegentritt. So decken wir uns mit Weetbix, Gummibärchen und Tütennudeln ein und sind froh, keine Sorgen mehr zu haben.
Genau das ist das Wunderbare am Wandern – der Existenzialismus. Es gibt keine Alltagssorgen mehr, keine Beziehungsprobleme, keinen Feierabendverkehr. Für uns zählt nur, wo wir etwas zu essen bekommen und wo wir schlafen können. Alles andere erscheint unwichtig. Na schön, für Sidney ist die Information, wo man Cashewkerne erhalten kann, ebenfalls essenziell. Auch werden banale Dinge zu etwas Besonderem, sobald wir sie nicht mehr haben. Wie Brot.
Wir lernen auch die einfachen Dinge zu schätzen, mit wenig zurechtzukommen, und geben uns auch mit wenig Auswahl zufrieden. Das Überleben ist gesichert, Luxus ist dabei überflüssig. Und Luxus in Form von Gummibärchen und Snickers gibt es immerhin auch überall. Nicht nur die Damen vom Campingplatz sind äußerst nett, sondern auch der Campingplatz selbst begeistert uns, als wir noch kurz die Toilette desselben benutzen. Sehr sauber und sogar mit Duschen. Wahnsinn. Duschen ist für uns absoluter Luxus. Des Weiteren bekommen wir einen Wetterbericht, der nichts Gutes für die nächsten Tage ahnen lässt: Starker Schnee, Hagel, Regen… Feine Aussichten.
Mein Knie macht sich heute beim Marschieren bemerkbar. Offenbar tat der steile Abstieg vom Berg gestern nicht gut. Ich laufe tapfer weiter und hoffe auf Besserung. Heute liegen nur 14,5 km vor uns, die es allerdings in sich haben. Der Weg führt am Loch Lomond vorbei, immer wieder hoch und runter und über viele Wurzeln und Steine. Daher setzen wir stets vorsichtig einen Fuß vor den anderen und kommen nicht allzu schnell voran. Der Regen peitscht uns dabei immer wieder unnachgiebig ins Gesicht. In Rowardennan, wo es nicht viel mehr als ein Hostel und einen Parkplatz gibt, sitzen wir auf einer Bank am See und genießen die Aussicht auf die schneebedeckten Berge auf der anderen Seite.
Schon bald sollten wir davon aufgrund von tiefen Regenwolken nicht mehr viel erkennen. Danach geht’s bergauf und in den Wald. Der Regen beginnt heftiger zu werden und schließlich kommen wir unserem Nachtlager näher. Heute sind wir schneller unterwegs, da wir nicht so viel pausieren wie an den letzten zwei Tagen. Wir wollen zum Rowchoish Bothy, einer alten Steinhütte, die eine einfache Zuflucht für Wanderer bietet. Hier kann man kostenfrei übernachten und hat ein Dach über dem Kopf. Allerdings ist die Suche danach nicht eben leicht. Sid schlägt vor, direkt durch den Wald zu gehen, anstatt dem Weg zu folgen. Nachdem wir uns eine Weile durchs Geäst schlagen, erreichen wir tatsächlich eine Lichtung mit einer alten Steinruine und daneben: die Hütte!
Zwei Männer in Militärkleidung, die einen großen Baumstamm tragen, kommen uns entgegen und bestätigen, dass wir genau richtig sind. Bei den beiden handelt es sich um die Schotten Barry und John, 32 und 36 Jahre alt. Sie kommen im Winter gelegentlich hier raus, braten sich Fleisch, trinken Whisky, rauchen Gras und hacken Holz. Denn zu dieser Jahreszeit ist hier kaum jemand unterwegs. Ein bereits entzündetes, warmes Feuer am offenen Kamin erwärmt die nasse Kleidung und die kalten Glieder. Wir hören Musik wie Kid Rock oder auch selbst gespielte schottische Flötentöne. John reiste früher durch Europa und verdiente sich Geld mit Flötenspielen. Sie überlassen uns eine Menge Essen, das sie noch übrig haben. John sagt, es sei seine Art, zurückzugeben, was er damals auf seinen Reisen von netten Menschen bekommen hätte.
Wir fühlen uns wie im siebten Himmel, spielen sogar kurzzeitig mit dem Gedanken, ob wir uns im Wald verirrt haben und gestorben sind, ohne es zu merken. Wir unterhalten uns und erfahren, dass beide bereits Kinder haben. Johns Freundin hat erst kürzlich mit ihm Schluss gemacht, weil er dem Computer zu viel Aufmerksamkeit gewidmet hat. Kurzerhand habe er die Kiste verkauft und sei mit seinem Kumpel am Wochenende hier raufgekommen, um sich ein wenig vom Kummer abzulenken. Wenn sie etwas bejahen, sagen sie immer „Aye“. Des Schotten eigene Art, „yes“ zu sagen, was mir gut gefällt.
John und Barry halten nichts von „Designer-Trekking-Kleidung“, wie sie sie bezeichnen, sie schwören auf Militärsachen, die gut und billig sind. Sie zeigen uns auch, wie man einfach Feuer macht. Mit einem Magnesiumstab kann man Funken erzeugen, und Sid ist so begeistert davon, dass John ihm seinen alten Magnesiumstab schenkt. Sidneys Augen glänzten wie die kleiner Kinder an Weihnachten. In den nächsten Tagen darf ich unseren Kocher nicht mehr mit dem Feuerzeug anzünden, weil er sein neues Spielzeug einweihen will.
Der Regen prasselt auf das Dach, während es draußen dunkel wird, und es ist gut, ihn draußen zu wissen. Unsere Kleider haben auch endlich eine Chance, an der Wäscheleine im Haus zu trocknen. Sidney lernt wieder eine wichtige Lektion, die beiden Schotten kurz und prägnant zusammenzufassen wissen: „Cotton kills!“ So prägnant vermochte ich es vor der Tour wohl nicht auszudrücken, vor allem nicht dessen Wichtigkeit. Da Sidney offenbar ein stark schwitzender Mann ist, sind seine vier Bundeswehr-Baumwoll-T-Shirts, die er einst als unheimlich praktisch empfand, schon nach dem ersten Tag nass. Da Baumwolle nur langsam trocknet, werden sie auch nicht mehr trocken im Laufe der Zeit. Vor allem aber hält nasse Baumwolle nicht mehr warm, sondern lässt einen schnell frieren, weswegen Baumwolle eindeutig zum Tode führt.
Nach dem langen Sitzen werden meine Knie sehr steif und schmerzen sehr, was mir langsam Sorgen bereitet. Wir verkriechen uns in die Schlafsäcke, die von vielen kleinen Teelichtern von Barry und John erhellt werden. Ich lese noch ein wenig im „Anhalter durch die Galaxis“ und dann verbringen wir die wohl kälteste Nacht des West Highland Ways. In dieser Nacht beginnt es heftig zu schneien, sogar zu hageln, wie wir am Geräusch der Körner, die auf das Wellblechdach treffen, erkennen können.
Tag 4 – Der erste Luxus
Rowchoish Bothy bis Inverarnan: 16 km
Gleich am Morgen lernen wir unsere nächste Lektion. Und zwar die, dass man Essen in Hütten niemals am Boden aufbewahren sollte. Als wir unser Brot zum Frühstück essen wollen, müssen wir feststellen, dass es verschwunden ist. Lediglich die zerfetzte Verpackung ist übrig geblieben. Wir sind verwirrt und ich bin überzeugt, dass sich das Brot ja irgendwo befinden müsse. Ganz klar: Sidney muss es in der Nacht aufgefuttert oder auf dem Weg verloren haben! Schlussendlich kommt heraus, dass wohl Ratten unser Brot geplündert haben. Die Verpackung ist zerfetzt und kaum noch als solche zu identifizieren, und nicht ein einziger Krümel blieb übrig. Da war jemand sehr gründlich. So haben wir kein Frühstück, aber John und Barry geben uns etwas von ihrem ab. Wir sind traurig um das Brot, das uns von guten Menschen geschenkt wurde.
Schneeregen begrüßt uns, als wir vor die Hütte treten und unseren Weg weiterführen. Weiterhin führt der Weg immer wieder hoch und runter, ist steinig und wurzelig. Lichtblicke verspricht jedoch der Anblick der Inversnaid Falls, die sich laut und gewaltig in den Loch Lomond ergießen.
Der Weg wird hier immer schwieriger, da es viele Felsstufen gibt, die viel Aufmerksamkeit und Vorsicht verlangen. Vor allem meine Knie beschweren sich beim Abwärtslaufen. Später sollen wir erfahren, dass nicht etwa die letzten Etappen des West Highland Ways die schwersten sind, wo der größte Anstieg zu bewältigen ist, sondern die Meilen am Loch Lomond entlang. Das Gelände hier ist schwierig und unwegsam und wir kommen dadurch nur langsam voran. Die schlammigen Teile des Weges machen die Sache auch nicht gerade einfacher und die Hosen von unten dreckig und nass. Dabei lernen wir, dass Gamaschen eine sinnvolle Investition darstellen. Vorbei kommen wir an Rob Roy’s Cave, die keine Höhle ist, sondern vielmehr eine Felsspalte zwischen abgestürzten Felsen am Ufer.
Mittagspause machen wir im Doune Bothy, einer weiteren Hütte mit offener Feuerstelle, die bereits von einem Schotten entzündet wurde. Unsere Kleidung dampft etwas aus, wir stärken uns, und als wir wieder vor die Tür treten, hat der Regen sogar aufgehört. Nun verlassen wir den Loch Lomond, der in weniger als einer Meile nach der Hütte endet, und werfen einen letzten Blick auf den See, der uns einen krönenden Abschluss von einer leichten Anhöhe bietet. Es geht wegen meiner Knie, denen der erneute Abstieg nicht leicht fällt, nur schleichend voran. Nach den heutigen 16 km landen wir in Inverarnan, einer kleinen Siedlung mit Bed & Breakfasts, einem Pub und einem Campingplatz. Wir erhoffen uns hier eine erste Dusche und freuen uns bereits Meilen vorher darauf. Allerdings hat der Campingplatz noch geschlossen.
Wir dürfen zwar unser Zelt aufstellen, die sanitären Einrichtungen seien allerdings geschlossen. Kurzerhand beschließen wir, nach Inverarnan hineinzugehen und uns ein Zimmer im Bed & Breakfast zu gönnen. Wir klopfen an die Tür und finden eine heimelige Unterkunft mit bequemen Betten und schön eingerichteten Zimmern vor. Es ist ein wahnsinniger Luxus, mal wieder in Betten zu schlafen, uns duschen zu können und unsere Kleidung gewaschen zu bekommen. Was für ein wunderbares Gefühl es ist, die trockene und warme Kleidung auf der Haut zu spüren! Ein Gefühl, das wir im Alltag nicht besonders zu schätzen wissen.
Zum Abendessen gehen wir in den urigen Pub gegenüber, den uns sowohl John und Barry als auch der Mann im Doune Bothy empfohlen hat. Dies ist wirklich ein schöner Tipp. Es gibt gutes Essen, ein offenes Feuer und jede Menge ausgestopfte Tiere an den Wänden – sogar ein Bär steht im Eingang. Braunbären gab es zwar mal in Schottland, diese sind aber seit über 1.000 Jahren ausgestorben. Ich bezweifle also, dass dieser Bär von hier stammt. Nachdem wir einen großen Burger verputzt und uns so satt wie seit Längerem nicht mehr gefühlt haben, schlafen wir warm und behütet im Inneren des Hauses und fühlen uns einfach nur pudelwohl.
Tag 5 – Erste Hälfte beinahe geschafft, das muss gefeiert werden!
Inverarnan bis Tyndrum: 19,5km
Wir bekommen ein dickes Frühstück in der Küche des Hauses kredenzt. Ein typisch englisches, d.h. vor allem ein sehr ungesundes, mit Speck, Würstchen, gebackenen Bohnen, Eiern und Toastbrot. Genau das Richtige für hungrige Wanderer! Ich esse so viel, wie ich kann, um viel Energie für den Tag zu haben. Denn auch das habe ich auf dem West Highland Way gelernt – so viel essen wie möglich! Es ist großartig, so umsorgt zu werden von der Herbergsdame. Sie fragt immer wieder, ob wir noch etwas möchten, ob wir noch Tee bräuchten. Wir kommen uns vor wie in einem Heile-Welt-Familienfilm. Aus dem Küchenfenster haben wir direkten Ausblick auf einen großen Wasserfall. Wirklich ein wunderbares kleines B&B – a home away from home.
Wir laufen die 10 km bis nach Crianlarich, wo es endlich wieder einen Supermarkt mit größerer Auswahl gibt. Hier sorgen wir für Vorräte für die nächsten Tage und für Creme für mein noch immer schmerzendes Knie. Wir beschließen, die restlichen 9,5 km mit dem Bus zu fahren, um meinem Knie etwas Ruhe zu gönnen und so den Rest des West Highland Ways noch bewältigen zu können. Wir setzen uns an die Bahnstation, genießen die Sonne, brauen uns einen Tee und warten die zwei Stunden auf den Postbus, der uns mit nach Tyndrum nehmen würde.
Der Postbus fährt uns direkt zum Hostel in Tyndrum, wo wir uns ein leckeres Abendessen MIT Dessert zaubern. Wir feiern die Tatsache, dass wir bereits 72 km hinter uns gebracht haben. Der Hostelbesitzer erzählt uns auch, dass wir den schwierigsten Teil, den am Loch Lomond entlang, bereits hinter uns hätten. Nun würde es schneller vorangehen, da der Weg besser würde. Wir sind skeptisch, da das an der Wand des Hostels aufgemalte Höhenprofil hohe Anstiege verheißt. Insbesondere der Gedanke an die Devil’s Staircase – der höchste Punkt des West Highland Ways – lässt uns erschaudern.
Wir beschließen auch, uns im Gästebuch des Hostels zu verewigen, indem wir unsere Lektionen, die wir bisher auf dem West Highland Way gelernt haben, teilen:
- Cotton Kills (Baumwolle tötet)!
- Wenn du glaubst, gut auf das Wetter vorbereitet zu sein – du bist es nicht!
- Wenn du das schottische Wetter nicht magst – warte 15 Minuten!
- Bothies (kleine kostenlose Hütten) sind großartig, aber pass auf! Stelle sicher, dass dein Essen hoch und sicher hängt, ansonsten musst du es mit den Mäusen teilen.
- Auch wenn es warm und sonnig aussieht – sitz nicht auf dem Boden, denn er ist sicher vom letzten Regen nass und der Wind wird dir die Haut von den Knochen blasen.
- Iss so viel du nur kannst – du wirst es brauchen.
- Geld kann keine Freundschaft kaufen, aber es gibt ein paar käufliche Freunde: Fleece-Inlet für deinen Schlafsack, Tee, Wanderstöcke und Gamaschen.
- Du kannst das Wasser aus den Flüssen benutzen. Achte einfach darauf, dass es von Moos gefiltert ist, und koche es ab!
- Nasse Schuhe machen Runzeln an den Füßen.
- Bleib immer in guter Stimmung und lass dir die Sonne aus dem Arsch scheinen, denn in Schottland wird sie es nicht tun.
Paradiesische Zustände: Pausentag
Da mein Knie mir immer noch Probleme bereitet, beschließen wir, einen Tag Pause einzulegen. Am Morgen besuchen wir den örtlichen Outdoorshop und ich besorge mir Wanderstöcke, um meine Knie zu entlasten. Sidney kauft sich ein Oberteil, das nicht aus Baumwolle besteht. Immerhin stehen uns ganz andere Höhenlagen als bisher bevor, und das heißt, dass es durchaus kälter werden könnte. Unser Weg soll uns sogar am Skigebiet vorbeiführen, wie uns der Hostelbesitzer erzählt.
Nachdem wir unseren Einkauf beendet haben, schnappen wir uns unsere Schlafsäcke und legen uns auf einen Hügel in die schottische Wintersonne. Der gesamte Tag soll sonnig und klar bleiben. Wir entspannen uns, genießen die Wärme der Sonnenstrahlen, ein paar Stücke Cadbury-Schokolade, das Plätschern des nahen Flusses sowie die Aussicht auf die umliegenden schneebedeckten Berge. Wir liegen sehr lange dort, ruhen uns aus und lassen die Seele baumeln. Es ist einfach ein perfekter Tag. Und da wir bereits so viel gelaufen sind, fühlt es sich auch ganz wunderbar an, einfach mal nichts zu tun.
Die Sonne verleitet uns mit der Zeit sogar, sommerliche Gefühle zu bekommen. So entfährt mir der Kommentar, dass man ja fast mit dem Gedanken spielen könnte, die Füße in den Fluss zu stecken. Sidney nimmt mich beim Wort und wir springen aus den Schlafsäcken auf den Bach zu. Allerdings werden schon auf dem Weg nach unten unsere Füße ordentlich nass und kalt durch die sumpfigen Grashügel. So entern wir nur kurz den Fluss mit diesem bekloppten Spontaneinfall und kriechen schnell wieder in unsere warmen Schlafsäcke.
Tag 6 – Trübe Aussichten
Tyndrum bis Victoria Bridge: 17 km
Heute bricht der sechste Wandertag auf dem West Highland Way an und vor uns liegen 17 km. Von dem schönen Wetter von gestern bleibt nur eine Erinnerung, denn am heutigen Tage begrüßen uns die gleichen grauen und nassen Aussichten wie eh und je. Daher sehen wir nicht viel von der Umgebung. Später pfeift uns sogar noch der Wind unangenehm durch die Glieder.
Der Weg führt uns durch Weideland, zu Füßen eines schneebedeckten Berges, bis zur kleinen Siedlung Bridge of Orchy, wo wir an der Bahnstation eine kleine Pause machen. Danach überspringen wir einen kleinen Hügel, indem wir an der kleinen Straße außenherum entlanggehen, die zwar etwas länger, dafür aber eben verläuft, um meinem Knie nicht zu viel zuzumuten. Dabei haben wir schöne Aussichten auf den Loch Tulla. Schon in Bridge of Orchy kann ich mein Knie nicht mehr anwinkeln, was mir das Laufen erschwert und uns nur langsam voranbringt.
Es beginnt heftiger zu regnen und der Wind peitscht uns den Regen ins Gesicht und nässt uns völlig durch. Wir sind heilfroh, an unserem Rastplatz – Victoria Bridge – angekommen zu sein. Bei heftigem Wind versuchen wir, das Zelt aufzubauen, und suchen dabei etwas Schutz hinter der Brücke. Wir verkriechen uns im Zelt und bewegen uns kein Stück mehr. Wir schaffen es nicht mal, noch viel zu essen, und schlafen früh ein.
Tag 7 – Der Goldtopf am Ende des Regenbogens
Victoria Bridge bis Kings House Hotel: 15 km
Heute haben wir eine Strecke von 15 km vor uns, die als schönster Teil des West Highland Ways proklamiert wird – die Strecke von Victoria Bridge nach Kingshouse. Wir bewältigen hier einen Anstieg von 330 m und laufen an einsamen Tälern, klaren Seen, Moorlandschaften und hohen Bergen vorbei. In der Nacht hat uns das Zelt mithilfe des Windes verprügelt, aber am Morgen scheint uns die Sonne ins Gesicht und macht uns Hoffnung auf einen trockeneren Tag als den vorherigen. Zu Anfang ist dem auch so, als wir die alte Straße entlangstiefeln, die heute nicht mehr benutzt wird, aber noch gut erhalten ist. Dies verleitet uns mal wieder dazu, mehr und längere Pausen als notwendig zu machen.
Als wir dann das Rannoch Moor erreichen, beginnt es einzutrüben und der Wind treibt Regen übers Land. Die Aussicht ist wirklich fantastisch. Die düsteren Wolkenberge zaubern eine interessante, aber bedrohliche Atmosphäre. Wir laufen eine lange Zeit durch die Wildnis und treffen auf keinen einzigen Menschen. Der Wind frischt auf und treibt uns den stärker werdenden Regen ins Gesicht und in die Kleidung.
Meine Knie beginnen wieder zu schmerzen und ich erreiche den Punkt, an dem ich das Handtuch werfen, trotzig mit dem Fuß aufstampfen und die Faust in die Luft streckend schreien will: „Du scheiß Trail kannst mich mal!“ Verbissen kämpfen wir uns weiter durch den Regen, bis die Hügel von Glen Coe und Glen Etive mit den scharfen, felsigen Gipfeln vom Buachaille Etive Moor ins Sichtfeld kommen. Belohnend ist diese Aussicht vor allem, weil die Sonne das Tal vor uns erhellt und den Blick auf einen riesigen Regenbogen unter uns freigibt. Leider bin ich zu müde und erschöpft, um meine Kamera zu bemühen, was ich zwar tief bereue, aber die Aussicht genießen wir in diesem Moment trotzdem ausgiebig.
Wir kommen auch am Skigebiet vorbei, dessen Lift allerdings geschlossen hat. Es ist wohl doch nicht mehr genug Schnee hier oben. Eine Tatsache, die wir begrüßen.
Wir machen uns an den Abstieg, der vor allem für meine Knie beschwerlich ist, und ich habe Mühe, nicht vom Wind umgeweht zu werden. Sidney packt mich immer mal wieder beim Rucksack, damit ich nicht in alle Himmelsrichtungen verstreut werde. Total nass und am Ende kommen wir dann in Kingshouse an und schlagen unser Zelt hinter dem Hotel an der Brücke auf. Wenn wir aus dem Zelt hinausblicken, haben wir direkte Aussicht auf einen hohen, schneebedeckten Berg. Das Gefühl, uns nicht mehr bewegen zu müssen, einen Platz zum Schlafen, etwas zu essen zu haben und mit den Erinnerungen an die wunderbaren Aussichten, die uns der heutige Tag trotz schlechtem Wetter bot, stellt für uns den Goldtopf am Ende des Regenbogens dar.
Tag 8 – Tee auf des Teufels Stiegen
Kings House Hotel bis Kinlochleven: 12,5 km
Vormittags fläzen wir uns lange in den Schlafsäcken, bevor wir uns endlich erheben und ein paar Hirsche vor unserem Zelt begrüßen. Wir starten die 12,5 km bis nach Kinlochleven, die es durch die Devil’s Staircase allerdings in sich haben. Die Devil’s Staircase stellen mit 563 m den höchsten Punkt des West Highland Ways dar.
Wir laufen durch die Landschaft hinter Kingshouse, die von hohen Bergen und zackigen Felsen gesäumt ist, und schon bald geht es im Zickzackkurs die Devil’s Staircase hinauf. Wir schaffen es sogar, uns auf der Hälfte des Weges einen Tee zu kochen. Wer kann das schon von sich behaupten? Wir bewältigen den Trail nicht nur mit voller Campingausrüstung im Winter, sondern kochen auch einen Tee auf den Devil’s Staircase. Der Tee gibt uns Kraft für den restlichen Anstieg und wir sind glücklich, am Gipfel anzukommen.
Während ich die Aussicht auf das umliegende Bergland und die verschneiten Gipfel genieße und fotografiere, schafft Sidney sich ein einmaliges Erlebnis, das typisch für seine Natur ist. Auf dem Gipfel singt er das komplette „All Summer Long“ von Kid Rock und tanzt dazu. Wir stapfen hier sogar durch tiefen Schnee, in den wir teilweise kniehoch einsinken. Allerdings ist der Schnee alt und nur stellenweise verteilt.
Der Abstieg bis Kinlochleven ist gemächlich und lang. Schon von Weitem können wir den Loch Leven erblicken. An dem heutigen Tag gibt es kaum Regen, was uns allein schon glücklich stimmt. Mit der Dunkelheit kommen wir auch in Kinlochleven an und finden dort einen Supermarkt, dessen Auswahl uns ein wenig überfordert. Nach all den Tagen mit winzigen Läden ist dieser kleine Supermarkt ein wahres Paradies. Hier treffen wir auch auf ein nettes schottisches Paar, das sich bereit erklärte, auf unsere großen Rucksäcke aufzupassen, während wir im Laden sind. Sie sprechen mich auch auf eine Tragödie in Deutschland an, die ihnen so leid täte. Ich bin etwas verwirrt. Tragödie in Deutschland? Durch die Tage in der Wildnis haben wir so gut wie nichts Neues mitbekommen und die Welt lebte an uns vorbei. Es stellt sich heraus, dass es sich um einen Amoklauf eines Schülers handelt.
Wir suchen uns lauter Leckereien aus, um uns ein angemessenes Mahl im Zelt zu bereiten. Abermals im Wald an einem Bach finden wir einen Platz für die Nacht und erfreuen uns an unserem Hühnchen-Curry. Nicht so erfreulich ist, dass Sidneys Socken einen immer unangenehmeren Geruch annehmen und mir jedes Mal beim Öffnen seines Schlafsacks ein interessanter Duft entgegenweht. Wir haben wohl mal wieder eine Dusche und frische Kleidung nötig.
Tag 9 – Letzter Tag auf dem West Highland Way
Kinlochleven bis Fort William: 22,5 km
Nachdem wir ein Stück durch Kinlochleven, das tatsächlich ein etwas größerer Ort ist, laufen, beginnt ein harter Aufstieg, der den Devil’s Staircase gefühlt in nichts nachsteht. Als wir endlich oben ankommen, können wir nicht etwa erleichtert aufatmen, sondern werden fast vom starken Wind umgeweht. Es soll lange Zeit über einen Gebirgspass gehen, der keinen Unterstand oder Schutz bieten würde, und uns würde der kalte Wind eiskalt in die Glieder fahren. Wir überlegen, ob wir das wirklich wagen sollen, vor allem in Gedanken an meine Kniegelenke.
Immerhin haben wir heute die mit 22,5 km längste Strecke vor uns. Aber ich will auf keinen Fall aufgeben und zwinge mich weiterzulaufen. Wieder laufen wir vorbei an verdutzten Schafen, die dann später in einer Reihe hinter mir herzockeln. Es ist wohl doch so, dass ein Schaf dem Hintern des vorderen folgt… Es geht vorbei an zwei Ruinen und rechts und links erstrecken sich hohe Berge. Hier treffen wir auch wieder auf Menschen – zwei Bergsteiger, die vorhaben, einen der Gipfel zu erstürmen. Verrückt. Wir haben zu tun, dass uns der Wind nicht vom Weg weht und die Glieder nicht zu sehr auskühlt, und die wollen noch höher hinaus.
Später springen leichtfüßig einige Marathonläufer, weiblich und männlich, in kurzen Shorts und T-Shirt an uns vorbei und spurten durch die Pfützen und die schneidende Kälte, als wäre das das Normalste der Welt. Meine Knie machen mir hier oben sehr schnell zu schaffen, dadurch, dass die Gelenke durch den kalten Wind schnell auskühlen. Ich schleppe mich trotz Unwillen meines linken Knies, sich anwinkeln zu wollen, voran. Trotz schöner Landschaft habe ich hiervon leider keine Fotos, da wir nur stur marschieren und es vermeiden, anzuhalten, um nicht auszukühlen.
Nach einigen Meilen führt es endlich nach unten und an geschützte Stellen im Wald. Etwas entspannter geht es nun inklusive Sonnenschein über Hügel und Weideland und der letzte Teil führt durch einen urigen Wald mit vielen Bächen und kleinen Wasserfällen, nach dessen Ende wir den mächtigen Ben Nevis, den mit 1.344 m höchsten Berg Schottlands, wenn auch wolkenverhangen, sowie das Glen Nevis Tal, erblicken.
Es geht entlang der Straße durch das Glen Nevis Tal auf unseren Endpunkt Fort William zu. Der letzte Teil des Weges ist sehr unspektakulär. Immer an der Straße entlang und mit der Hoffnung auf das Ende. Kurz bevor wir das erreichen, treffen wir durch irgendeine merkwürdige Koinzidenz das schottische Paar vom gestrigen Tag wieder, das uns gerade entgegenkommt.
Schon bald erreichen wir das Schild, das das Ende des West Highland Ways verkündet, und formieren uns erschöpft, aber stolz und glücklich davor für das Siegerfoto. Daraufhin begeben wir uns auf die Suche nach einer Bank und einem Hostel, kaufen ein paar Nudeln, waschen uns den Dreck von der Haut und erfreuen uns an der Mahlzeit, Trockenheit und Wärme sowie daran, dass wir die Herausforderung tatsächlich gemeistert haben.
Rückfahrt nach Edinburgh
Eigentlich ist heute noch ein Besuch des Loch Ness geplant, allerdings kommt man sonntags kaum vom Fleck bzw. von dem anderen Fleck wieder weg. Wir müssen heute noch nach Edinburgh, weil morgen früh unser Flug geht. Ich kaufe noch zwei Tafeln allerfeinster Cadbury-Schokolade für zu Hause. Dann beschließen wir, nach Edinburgh zurückzufahren und dort noch was zu machen.
Einen schönen Abschluss bietet die Busfahrt von Fort William nach Glasgow. Der Bus fährt nahe bei der gelaufenen Strecke entlang und durch viele Haltepunkte auf unserem Weg wie Kingshouse und Tyndrum. Hier wird uns noch einmal die Dimension bewusst. Zum einen die der Distanz, zum anderen die der gewaltigen Berge und Täler. Wo der Bus nur drei Stunden benötigt, brauchten wir ganze neun Tage. Lächerlich. Dennoch hat man beim Wandern viel mehr Zeit, das Gesehene aufzunehmen und zu reflektieren. Eine ganz andere Art des Reisens, bei der der Weg das Ziel darstellt.
Schwer fällt der Abschied, die Zeit hier war wunderbar. Auf dem West Highland Way haben wir viele nette Menschen getroffen, sind wieder um Erlebnisse und Erfahrungen reicher geworden, und ich bin sicher, dass ich noch einmal zurückkehren werde.
Kurzinfo West Highland Way
Gehzeit: 6 bis 9 Tage
Länge: 160 km
Gesamtanstieg: 4.850 hm
Ausgangspunkt: Milngavie bei Glasgow, Schottland
Endpunkt: Fort William, Schottland
Schwierigkeit: Leicht







































