Thru-Hiking klingt erstmal ganz schön verrückt – Tausende von Kilometern zu Fuß laufen? Aus dem Rucksack leben, in der Wildnis zelten, jeden Tag Instantnahrung essen, auf die Annehmlichkeiten der Zivilisation verzichten – wozu überhaupt? Macht das wirklich Spaß? Hier erzähle ich von meiner persönlichen Motivation weite Strecken zu wandern.
Thru-Hiking (Durchwandern auf deutsch) bedeutet einen kompletten Fernwanderweg an einem Stück zu bewandern. Ursprünglich bezog sich der Begriff vor allem auf die großen amerikanischen Trails: Appalachian Trail (AT), Pacific Crest Trail (PCT) und Continental Divide Trail (CDT). Alle drei über 3.500km lang. Mittlerweile kann man den Begriff für jegliche Fernwanderwege verwenden, wobei es zumindest für mich schon mindestens mehrere hundert Kilometer sein sollten um wirklich Thru-Hiking zu sein. Gewissermaßen ist Thru-Hiking die Königsdisziplin des Wanderns, denn hier geht es nicht nur um ein paar Tage Spaß, sondern auch um körperliche und psychische Schwierigkeiten, die es zu überwinden gilt. Wandern, Essen, Schlafen – das ist der Alltag auf einem Thru-Hike. Man geht also völlig im Wandern auf. Es zählt nur noch der Trail und die Erlebnisse, die man auf ihm hat.
Ich hatte immer eine lange Liste von Dingen, die ich in meinem Leben tun möchte, und auf irgendeine Weise schaffe ich es, meine Träume nacheinander zu erfüllen und neue zu schaffen. Ich denke, darum geht es im Leben. Seinen Träumen nachjagen, das Leben leben, das man leben möchte, Erinnerungen zu sammeln und nicht Dinge.
Thru-Hiking – einfach nur total verrückt?
Es muss etwa 2010 gewesen sein als ich das erste Mal überhaupt vom Thru-Hiking hörte. Ich las das Buch „Frühstück mit Bären“ von Bill Bryson, das sich mit dem 3.500km langen Appalachian Trail beschäftigt. Ich weiß noch wie total verrückt mir das damals vorkam. Klar, ich wanderte sehr gern und ich hatte auch schon den ein oder anderen Fernwanderweg hinter mir. Der längste bis dahin war aber gerade mal 154km lang, der schottische West Highland Way. Für die 154km habe ich damals noch ganze neun Tage gebraucht. Es war gänzlich unvorstellbar für mich 22 Mal so viel an einem Stück zu gehen. Und 3.500km an einem Stück in fünf Monaten? Fasziniert hat es mich trotzdem und es war herrlich über die Lernkurve und die Erlebnisse von Bill Bryson auf dem AT zu lesen.
Mein Start ins Wanderleben
Ins Wandern verliebt habe ich mich erst in Neuseeland in 2007/2008. Damals machte ich ein Auslandssemester und begann die Natur dieses wunderschönen Landes zu erkunden. Ob Wasserfälle, Berggipfel oder Seen: Es gab viele Ziele für unterschiedlich lange Wanderungen. Anfangs hatte ich nicht die geringste Ahnung und auch keine passende Ausrüstung. Ich ging einfach los. In Chucks, Baumwollkleidung, Alltagtagsrucksack und ohne jegliche Schlechtwetterplanung.
Ich fing auch an im Zelt zu schlafen, erst auf Campingplätzen und dann immer wilder. Vorher habe ich lediglich aus Spaß im eigenen Garten gezeltet. Zelten war anfangs irgendwie gar nichts für mich, ich hab mich ganz schön beschwert. Und dann lernte ich immer mehr diese Nähe zur Natur zu schätzen und hatte nicht nur keine Probleme mehr mit dem Zelten, sondern begann es sogar zu lieben!
2011 eröffnete dann der Te Araroa Trail, der 3.000km durch die ganze Länge Neuseelands führt. Die erste Schnapsidee kam in mir auf: Eines Tages werde ich diesen Trail vielleicht wandern. Es würde meine erste richtig lange Fernwanderung werden und das in dem Land in dem alles begann. Ein Kreis würde sich schließen. Ein schöner Gedanke, aber noch in weiter Ferne. Noch konnte ich mir das nicht so recht vorstellen und es schien echt einfach nur eine Schnapsidee zu sein. Als würde ich sowas können, das wird wahrscheinlich nie was
Schließlich folgte meine erste Wanderung mit Übernachtungen, mein erster „Thruhike“ wenn man so will. Es war der 32km lange Routeburn Track durch die Berge der Südinsel Neuseelands. Mittlerweile hatte ich mir Wanderschuhe, Wanderhose, Fleece- und Regenjacke besorgt. Einen Rucksack habe ich mir ganz einfach ausgeliehen. Diese Erfahrung war hart, aber gleichzeitig wunderschön. Eine neue Leidenschaft war geboren, die Leidenschaft fürs Wandern. Eine völlig neue Welt eröffnete sich mir.
Die verrückte Idee vom Te Araroa wird wahr – mein erster Thru-Hike
Im Jahr 2011 wurde der Te Araroa eröffnet, der die gesamte Länge Neuseelands in 3.000 km abdeckt. Mir kam damals die verrückte Idee, dass ich ihn eines Tages durchwandern könnte. Es wäre meine erste richtige Langstreckenwanderung, und das in einem Land, in dem alles begann. Ein Kreis würde sich schließen. Es war eine große Idee, aber sie schien noch weit entfernt. Ich konnte mir das zu der Zeit kaum vorstellen, es war eher eine lockere Idee, die mir in den Sinn kam. Ich dachte nicht daran, dass ich es eines Tages wirklich tun würde.
Mit der Zeit absolvierte ich viele Langstreckenwanderungen. Ich wanderte den West Highland Way in Schottland, den Laugavegur in Island, den Kungsleden in Schweden, die Jotunheimen-Runde in Norwegen, den Frolikha Adventure Coastline Track in Russland, den Everest Base Camp Trek und den Annapurna Basecamp Trek, den Abel Tasman Coastal Track in Neuseeland, den W-Circuit in Chile und den Ausangate Trek in Peru.
Dann begann mein bisher größtes Abenteuer. Im Jahr 2018 machte ich mich endlich auf den Te Araroa, von dem ich bereits 2011 geträumt hatte. Ich war so aufgeregt und las alles, was ich über den Trail finden konnte. Ich verbrachte Monate mit der Planung und der Zusammenstellung der richtigen Ausrüstung.
Ich war so aufgeregt und las alles über den Trail was ich in die Finger bekommen konnte. Ich beschäftigte mich Monate mit der Planung und dem Zusammensuchen der richtigen Ausrüstung. Und dann war ich tatsächlich auf dem Trail. Ich stand in Bluff am Start meiner 3.000 km langen Wanderung und begann mein großes Abenteuer. 36km bin ich am ersten Tag gelaufen, soviel wie noch nie zuvor an einem Tag. Das war der Auftakt zu einer großen Reise. Tatsächlich schaffte ich nicht die ganze Strecke, sondern „nur“ 1.400km. Die komplette Südinsel lag hinter mir und ein kleiner Teil der Nordinsel. Leider funkte mir dann der Wintereinbruch dazwischen und ich beschloss schweren Herzens ein anderes Mal wiederzukommen um den Trail zu beenden.
Und das tat ich. Ich beendete den Trail im Jahr 2020. Ich bin seit meinem Start in der Wanderszene wirklich weit gekommen. Danach bestieg ich den Kilimanjaro in Tansania, wanderte zwei Jakobswege in Spanien, den GR 20 in Korsika, eine Transalp in Deutschland und unternahm viele Tageswanderungen in den Alpen.
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Das nächste große Ding: Der PCT
Ich begann darüber nachzudenken, was das nächste große Ding sein könnte. Ich war angestachelt und wollte wieder eine wirklich lange Wanderung machen. Da ich zuvor noch nie in Nordamerika war, dem letzten Kontinent, den ich noch nicht besucht hatte, entschied ich mich für den Pacific Crest Trail (PCT) – eine großartige Wahl. Er vereint alles, was ich am Wandern liebe: Wildnis, atemberaubende Natur und eine großartige Wander-Community. Die Vorstellung, ein Land durch das Wandern zu erkunden, begeisterte mich. Ich traf die Entscheidung im November 2021 und besorgte mir umgehend mein Thru-Hiking Permit. Wieder einmal saugte ich alle verfügbaren Informationen über den Trail auf (und es gibt eine Menge) und wog jedes Gramm meiner Ausrüstung, um das Gewicht meines Rucksacks auf ein Minimum zu reduzieren.
Ich war so nervös, dass vor dem Start dieses neuen Abenteuers etwas schiefgehen könnte. Aber schließlich packte ich meine gesamte Wohnung in 20 Kartons und einige Müllsäcke und machte mich mit einem Rucksack auf den Weg, der alles enthielt, was ich für die nächsten fünf Monate brauchen würde. Es erstaunt mich immer wieder, wie viel Zeug wir besitzen (oder besitzt es uns?) und wie viel weniger wir tatsächlich brauchen.
Die nächsten sechs Monate verbrachte ich damit etwa 3.800 km auf dem PCT zu wandern. Eine Verletzung, Wildfeuer und letztlich der Winter erforderten einiges an Flexibilität und Resilienz, aber letztlich hatte ich das meiste des PCTs geschafft. Am Ende fehlten mir 430 km, die ich vorhabe irgendwann nachzuholen. Es war ein bittersüßer Abschied – einerseits trage ich all diese Erinnerungen, Erfahrungen und Begegnungen in meinem Herzen und auf der anderen Seite ging es viel zu schnell vorbei und das Gefühl es nicht ganz zu Ende bringen können, gab dem Ganzen einen bitteren Beigeschmack.
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