Bergziegenfamilie am Mount Edwards

CDT: Auf den Spuren der Bergziegen – Winter Park bis Leadville

Zwischen Winter Park und Leadville erklimmen wir 4.000er, traversieren die Argentine Spine und wandern durch leuchtende Espenhaine. Mit den vielen Höhenmetern, Kraxeleien und Ausweichmanövern vor Mountainbikern fordert uns der Trail immer wieder heraus. Und belohnt uns mit atemberaubenden Landschaften, vielen Bergziegen und Murmeltieren. Die Zwischenstopps in Breckenridge und Leadville bringen die nötige Erholung, wobei uns Leadville als einer der charmantesten und herzlichsten Orte auf dem CDT besonders in Erinnerung bleibt.

CDT Tag 83 – Horizontaler Schnee

9 km / 530 hm / 2,5 h

Vinny fährt uns zurück zum Berthoud Pass. Es regnet, und ich erhole mich noch davon, fast an einem Taco erstickt zu sein. Wir fragen uns kurz, ob wir nicht einfach in Boulder sesshaft werden sollen. Aber wir bleiben optimistisch, dass der Regen aufhört.

Wir beginnen den Aufstieg, anfangs mit etwas Blau zwischen den Wolken, doch das Wetter schlägt um: eisiger Wind und Schnee, der uns waagrecht in die Gesichter peitscht. Genau oben auf dem exponierten Grat. Ich werde völlig durchnässt, weil ich nur warme Kleidung anhabe, aber keine Regenkleidung. Ich renne vom Grat runter, abwechselnd schreiend und weinend vor Kälte.

Wir schlagen das Zelt in der Nähe eines Bachs auf, und ich wärme mich in meinem Schlafsack auf. Ich glaube, mein Schlafsack ist mein liebstes Ausrüstungsstück dieser Wanderung. Ich friere nachts nie und er wärmt mich auch am Camp, wenn ich durchgefroren bin. Das Förderband der nahen Molybdän-Mine dröhnt die ganze Nacht, aber Ryan findet das weiße Rauschen angenehm. Ich greife lieber zu meinen Ohrstöpseln.

CDT Tag 84 – Die Höhe macht mich fertig

34,7 km / 1.750 hm / 9 h

Der Wind übertönt das Dröhnen der Mine, während wir noch gut geschützt zwischen den Bäumen schlafen. Heute steht wieder ein Gratweg an, aber die Höhe, die dünne Luft und der kalte Wind setzen mir zu. Kurz vor dem letzten Anstieg rast mein Puls, ich fühle mich schwach und muss anhalten. Nur noch 64 Höhenmeter bis zum höchsten Punkt, aber meine Beine zittern, und der Wind wirft mich zweimal um. Ich weine vor reiner Erschöpfung – schon der zweite Tag in Folge. Der PCT hat mich nie zum Weinen gebracht.

Und trotzdem: Selbst in diesem Moment, keuchend und kämpfend, fällt mir auf, wie schön es hier ist. Der Grat zieht sich bis zu einem hohen Berg direkt vor mir, darunter grüne Wiesen mit schimmernden Seen.

Oben wartet Ryan auf mich. Nach einer Pause steigen wir ab, lassen den eisigen Wind hinter uns, und ich erhole mich schnell. In der Sonne machen wir Mittagspause – mit selbstgemachter karamellisierter Zwiebelbutter und Brot, das bringt meine Energie zurück.

Ein Tunnel führt uns auf die andere Seite der Interstate, dann laufen wir eine Stunde auf einem asphaltierten Radweg. Keine Fahrräder heute, der Weg ist flach und entspannt. Am Rand wachsen Pilze und herrlich süße Himbeeren.

Dann steht der nächste große Aufstieg bevor. Hinauf zum höchsten Punkt des gesamten CDT: Grays Peak. Heute gehen wir noch nicht ganz hoch, sondern nur die Schotterstraße bis zum Trailhead. Dort schlagen wir unser Zelt auf. Selbst das Zeltaufbauen strengt mich heute an – und morgen wird es noch härter.

CDT Tag 85 – Fünf Gipfel und die Argentine Spine

19,3 km / 2.180 hm / 9 h

Wir beginnen den Aufstieg zum Grays Peak und füllen unsere Wasservorräte auf, denn der Grat entlang der Argentine Spine hat keine Wasserquellen. Der Beginn ist noch sanft, wird aber bald richtig steil. Zuerst besteigen wir Torreys Peak. Dieser liegt zwar nicht direkt auf der Route, ist aber nah genug für einen kurzen Abstecher. Unsere Rucksäcke lassen wir an einer Weggabelung zurück, was eine riesige Erleichterung ist – vor allem für Ryan, der übertrieben viel Essen dabei hat, darunter sieben Avocados!

Oben auf Torreys ist es windig, aber wunderschön. Zwei Männer versuchen, Kaffee zu machen, haben aber kein Feuerzeug dabei. Zum Glück finden sie noch ein paar Streichhölzer. Ein anderer Wanderer erscheint in Jeans und Chucks – eindeutig nicht für Colorados Terrain gerüstet.

Beim Abstieg entdecken wir eine Bergziege, die fotogen auf einem Felsvorsprung posiert. Danach holen wir unsere Rucksäcke und steigen auf den Grays Peak. Dort mache ich versehentlich einen Navigationsfehler und führe uns den falschen Grat hinunter – zu sehr abgelenkt von der atemberaubenden Aussicht. Wir merken es zum Glück bald, müssen aber wieder zurück hinauf. Zusätzlicher Höhengewinn an einem ohnehin schon anstrengenden Tag.

Danach folgt eine anspruchsvolle Kraxelei auf einem schmalen, felsigen Grat hinüber zum Mount Edwards. Es ist die technischste Passage des gesamten CDT – mit steilen Abgründen auf beiden Seiten. Langsam und konzentriert tasten wir uns darüber hinweg. Oben angekommen, begrüßt uns eine Ziegenfamilie, die entspannt auf einem Felsvorsprung liegt.

Am Argentine Pass entscheiden wir uns für die Argentine Spine Alternate. Wir folgen dem Grat über mehrere weitere Viertausender, mit unglaublichen 360°-Panoramen. Unterwegs sehen wir wieder jede Menge Bergziegen. Erschöpft nach fünf Gipfeln und mit schmerzenden Knien von den steilen Abstiegen, finden wir schließlich einen geschützten Platz in der Nähe einer alten Mine auf 3.800 Metern, um unter freiem Himmel zu schlafen. Trotz der Höhe fühlen wir uns bereit dazu, denn wir haben genug Wasser und warme Isomatten, um bequem durch die Nacht zu kommen.

CDT Tag 86 – Der Colorado Trail

27,8 km / 1.320 hm / 9 h

Heute ist wieder ein harter Tag: steile Anstiege und endlose Aufs und Abs. Die Nacht war ruhig, kein Wind, und morgens ist es jetzt nicht mehr ganz so eisig. Beim Aufwachen im Licht der aufgehenden Sonne sehen wir einen mächtigen Wapiti-Hirsch oben am Grat stehen. Kurz bevor wir die Argentine Spine abschließen, steigen wir kurz ab zu einer dringend benötigten Wasserquelle. Es ist nur ein Rinnsal, halb gefroren, aber es reicht völlig, um unsere Wasservorräte aufzufüllen.

Wir lassen die Argentine Spine hinter uns, aber die Herausforderungen bleiben. Weitere neue steile Anstiege stellen uns auf die Probe. Dieser Abschnitt fühlt sich an wie der härteste Teil des ganzen CDT, vielleicht sogar der anstrengendste Abschnitt, den ich je gewandert bin. Grat folgt auf Grat, Gipfel auf Gipfel. Wieder begegnen wir Bergziegen. Der Aufstieg zum Geneva Peak ist der anspruchsvollste, mit Geröll- und Klettergelände. Aber die Schönheit dieses Ortes macht jeden anstrengenden Schritt lohnenswert. In zwei Tagen haben wir über zehn Gipfel erklommen und die Ausblicke sind hart verdient. Colorado, du machst mich fertig, aber du bist wahnsinnig schön.

Dann erreichen wir ein Netz aus Schotterstraßen, auf denen ATVs vorbeirasen. Sie bekommen die Aussicht ohne die Mühe, aber ich vertraue hier oben lieber meinen Füßen als einer Maschine. Wasser ist weiterhin knapp, aber wir finden eine trübe Pfütze an einem vor sich hin schmelzenden Altschneefeld, filtern sie und ziehen weiter.

Und dann – endlich – stoßen wir auf den Colorado Trail: ein richtiger, gepflegter Wanderweg mit Serpentinen, Bäumen und Wasser! Es ist eine Ewigkeit her, dass wir Wald gesehen haben. Wir werden geradezu emotional. Endlich können wir wieder in unserem normalen Tempo wandern und schaffen unsere gewohnten Tageskilometer.

Als wir am Fluss unter Bäumen unser Camp aufschlagen, beginne ich zu glauben, dass ich den CDT wirklich schaffen könnte – trotz der Knochennekrose in meinem Fuß. Ärzte haben mir geraten, das Wandern aufzugeben. Aber wenn ich auf die Meinung von Ärzten gehört hätte, wäre meine Wander-Karriere bereits Anfang 20 beendet gewesen, als ich Knieprobleme hatte.

CDT Tag 87 – Oktoberfest-Wahnsinn

24 km / 655 hm / 5,5 h

Der Waldweg beginnt eintönig, mit scheinbar sinnlosen Auf und Abs. Mountainbiker schießen an uns vorbei, und wir müssen ständig ausweichen und wachsam bleiben. Das ist anstrengend – meine Knie schmerzen, mein Fuß tut weh, und die Strapazen der letzten Tage stecken mir in den Knochen. Wir erreichen den Highway, und noch bevor wir den Bus erwischen können, nimmt uns Lia mit nach Breckenridge.

Breckenridge überfordert mich, denn das Oktoberfest läuft auf Hochtouren – laut, überfüllt und teuer. Bayerisches Essen lockt uns, aber die Preise sind jenseits von Gut und Böse. Wir fliehen in ein ruhiges asiatisches Restaurant, wo wir bei einer tröstenden Schüssel Pho durchatmen können. Später vertreibt der Regen einen Teil der Menschenmassen, und wir gönnen uns einen überteuerten, aber verdammt guten Apfelstrudel. Ein sympathisches Paar nimmt uns mit nach Frisco, wo die Unterkünfte viel günstiger sind.

CDT Tag 88 – Auf Murmeltierkonferenz

23,6 km / 900 hm / 6,5 h

Am nächsten Tag werden unsere Erwartungen übertroffen. Das Skigebiet Copper Mountain ist in dieser Saison wie ausgestorben, und alle Restaurants sind geschlossen. Somit begnügen wir uns mit Mikrowellen-Burritos aus dem kleinen Laden. Dann wandern wir die Pisten hinauf. Die Entdeckung eines Rechenfehlers in meiner Etappenplanung verleiht uns einen Motivationsschub, denn dieser bedeutet weniger Tage bis Twin Lakes als gedacht.

Ganze Gruppen Murmeltiere tummeln sich auf den Graten und wirken dabei, als würden sie Konferenzen abhalten. Ein türkisfarbener See unterhalb der Elk Ridge empfängt uns mit seiner intensiven Farbe. Der Colorado Trail zeigt sich von seiner sanften Seite – mit großartigen Aussichten, wilden Tieren und fantastischen Zeltplätzen. Nach den harten Abschnitten der letzten Tage erinnert uns das daran, wie schön Thru-Hiking sein kann.

CDT Tag 89 – Leadvilles Charme

7,5 km / 150 hm / 1,5 h

Wir beenden den kurzen Marsch bis zur Straße, umgeben von leuchtenden Herbstfarben und einem Regenbogen, der sich über die wolkenverhangenen Hügel spannt. Unterwegs passieren wir Bunker, die 1942 gebaut wurden, um Soldaten während des Zweiten Weltkriegs für den Einsatz in den Alpen auszubilden. Aufgrund einer Sturmwarnung, die Wind und Schnee für den Nachmittag ankündigt, beschließen wir, dass heute ein weiterer Town Day werden soll.

Leadville ist berühmt dafür, die höchstgelegene bewohnte Stadt Nordamerikas zu sein, auf 3.100 Metern Höhe. Wir schlemmen den ganzen Tag: Amish-Handpies, einen veganen Burrito im City on a Hill Café und später Pizza bei High Mountain Pies. Leadville ist ein skurriler Mix aus Landidylle und Hipster-Flair – und genau das macht den Ort so erfrischend. Spelunken, gemischt mit gemütlichen Cafés und ulkigen Traditionen wie dem Ski-Joring (Skifahrer, die von Pferden über Hindernisse gezogen werden) – genau unser Ding.

Wir checken im Hostel ein, gehen Vorräte einkaufen und gönnen uns ein gemütliches Abendessen im nostalgischen und urgemütlichen Quincy’s Steakhouse. Leadville schafft es sofort auf die Liste unserer Lieblingstrailtowns.

Herausforderungen & Höhepunkte des Abschnitts

Herausforderungen:
Brutale Höhenmeter, eiskalter Wind, exponierte Gratwanderungen, Erschöpfung durch Höhe.

Höhepunkte:
Die epische Traverse über mehrere 4.000er und die Argentine Spine, einsame Bergziegenfamilien, Murmeltiere en masse, grandiose Gratblicke, türkisfarbene Seen und als Belohnung: Leadville mit Pizza und Retro-Steakhouse-Charme.

Lektion:
Du kannst völlig am Ende sein, frieren, weinen, zweifeln – und im nächsten Moment mit pochendem Herzen und wackeligen Beinen auf einem Gipfel stehen und dich lebendig fühlen.

Hier geht’s zum nächsten Abschnitt auf dem CDT:

CDT: Von goldenen Espen in den Schneesturm – Leadville bis Buena Vista

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Die Weltwanderin

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Annika

Ich bin verliebt in die Welt, ihre Berge und das Abenteuer. Seit jeher beschäftigt mich eine starke Sehnsucht nach einem intensiven Leben. Dabei bedeutet Wandern für mich pure Freiheit und Glück. Auf diesem Blog lest ihr alles über meine Abenteuer auf der ganzen Welt.

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