Gratwanderungen in der Scapegoat Wilderness

CDT: Scapegoat Wilderness

Wir lassen die nasskalte Bob Marshall Wilderness zurück und betreten die sonnige Scapegoat Wilderness, wo wir endlich längere Zeit auf dem Kamm der Continental Divide wandern. Anstatt nur Pässe zu überqueren, bleiben wir hoch oben und genießen das alpine Gelände.

CDT Tag 15 — Entspannter Tag und ein Berglöwe

37 km / 640 hm / 8,5 h

Heute verlassen wir die nasse Bob Marshall Wilderness und tauchen in die Scapegoat Wilderness ein. Zum ersten Mal seit Langem starten wir mit trockenen Schuhen und Socken in den Tag. Die Sonne scheint auf unseren Zeltplatz, und ich lasse mir Zeit, die Wärme zu genießen. Kaum sind wir losgelaufen, treffen wir auf einen Berglöwen – nur 15 Meter vor uns. Vermutlich ein Jungtier, das uns wegen des Flusses neben dem Trail nicht gehört hat. Als er uns sieht, verschwindet er blitzschnell im Wald. Diese Begegnung fasziniert mich – eine großartige Belohnung nach der anstrengenden Woche in der Bob Marshall Wilderness.

Der Trail ist angenehm und erinnert mich an den PCT: sanfte Steigungen, warm, trocken, und wir kommen schnell voran. Ich höre zum ersten Mal Musik, was mir Energie gibt. Bearanoia ist inzwischen kein Thema mehr, und ich gönne meinen Füßen sogar freiwillig ein kaltes Bad im Fluss.

Das Wetter zeigt sich typisch launisch: ein kurzer Nieselregen, gefolgt von blauem Himmel. Ein Kolibri mit schillernden Federn schwirrt um uns herum – ein magischer Moment. Unterwegs treffen wir Chef, einen CDT-Wanderer aus Chicago, der ebenfalls SOBO läuft. Er hat wegen des Wintersturms in Glacier National Park abgebrochen und ist dann nach Helena voran gesprungen, um von dort aus zurück nach Norden zu gehen. Chef erzählt von seinen beeindruckenden letzten 12 Monaten, in denen er den PCT und den Te Araroa gewandert ist, doch jetzt sei er einfach nur müde.

Seine gute Nachricht: Vor uns liegt fast kein Schnee mehr – eine große Erleichterung. Später donnert es kurz und regnet für zehn Minuten heftig, doch der Rest des Tages bleibt wunderbar. Wir schaffen das erste Mal auf dem CDT 37 Kilometer und genießen das Gefühl eines leichteren, entspannteren Wandertages.

CDT Tag 16 — Windige Gratwanderung

29 km / 1.750 hm / 9 h

Der Tag bringt viele Höhenmeter, und die Aufstiege fühlen sich härter an als je zuvor. Mein Körper ist erschöpft, nach neun Tagen ohne Pause und einem ständigen Kaloriendefizit scheint er sich langsam selbst zu verzehren. Der Trail führt uns über einen langen Grat, hoch und ausgesetzt, aber das Wetter bleibt gnädig – nur ein leichter Wind begleitet uns.

Die alpine Landschaft beeindruckt mit leuchtenden Blumenpolstern in Blau, Violett und Gelb, die die karge Umgebung erhellen. Hier oben gibt es fast keinen Schnee mehr, nur vereinzelte Flecken, obwohl wir so hoch sind wie nie zuvor. Doch ein neuer Gegner zeigt sich: Wasser wird knapp. Während die Bob Marshall Wilderness von Flüssen und Nässe geprägt war, ist die Scapegoat Wilderness trocken. Flüsse sind ausgetrocknet, und wir müssen unsere Wasserquellen sorgfältig planen.

Ein See bietet uns endlich Wasser, aber auch Mücken – wir halten unsere Münder geschlossen, um keine zu verschlucken. Der Aufstieg vom See ist mühsam, unsere Füße schmerzen, und der Hunger macht sich bemerkbar. Doch der Tag endet mit einem wunderbaren Zeltplatz: oben auf dem Grat, geschützt von ein paar Bäumen, mit einer spektakulären Aussicht.

Die Vorfreude auf Lincoln, das wir morgen erreichen werden, hält uns motiviert. Unsere Gespräche drehen sich immer mehr um Essen: Was werden wir essen? Wo werden wir essen? Und wie schaffen wir es, die armen Menschen, die uns eine Mitfahrgelegenheit geben, nicht mit unserem Geruch zu belästigen? Die Aussicht auf einen Zero-Day und Zivilisation fühlt sich wie ein großes Abenteuer an – fast so aufregend wie die Wildnis selbst.

CDT Tag 17 — Abstieg nach Lincoln

22,5 km / 970 hm / 6 h

Der Tag beginnt mit einem spektakulären Sonnenaufgang – unser erster auf dem CDT, denn freie Sicht oder Motivation zum frühen Aufstehen hatten wir bisher nicht. Doch heute ist Stadttag, und die Aussicht auf Zivilisation treibt uns an.

Die ersten steilen Anstiege fordern uns gleich am Morgen. Doch das goldene Licht des frühen Morgens entlang des Grats macht den mühsamen Weg erträglicher. Der Abstieg ist steinig und belastet unsere schmerzenden Füße zusätzlich. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichen wir eine Weggabelung, wo wir erschöpft ins Gras sinken und eine Pause einlegen.

Der Abschnitt zum Charlotte Pass ist windig, doch dort erwartet uns eine kleine Überraschung: eine Jurte, die wie eine Oase im Sturm wirkt. Drinnen finden wir Schutz vor dem heulenden Wind und machen eine erholsame Pause, bevor wir den letzten Abschnitt hinunter zur Straße angehen.

An der Straße bekommen wir schnell eine Mitfahrgelegenheit nach Lincoln, wo uns eine besondere Atmosphäre erwartet: Make-America-Great-Again-Basecaps, Flaggen und Gewehrverlosungen in Bars prägen das Bild der Stadt. Doch die Menschen sind ausnahmslos freundlich.

Unser Zero-Day dreht sich vor allem um Essen. Mein Speiseplan: Hash Browns mit Eiern, 1 kg Erdbeeren, 1 kg Blaubeeren, Bananen, Apfelmus, Hefebrötchen, ein ganzes Grillhähnchen, Salat, Sandwiches, Chips mit Salsa, ein Glas Gewürzgurken, 2 Liter Cola und Pizza – und ich hätte locker noch mehr essen können.

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Die Weltwanderin

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Annika

Ich bin verliebt in die Welt, ihre Berge und das Abenteuer. Seit jeher beschäftigt mich eine starke Sehnsucht nach einem intensiven Leben. Dabei bedeuten Wandern und Reisen für mich pure Freiheit und Glück. Auf diesem Blog lest ihr alles über meine Abenteuer auf der ganzen Welt

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