CDT: Von goldenen Espen in den Schneesturm – Leadville bis Buena Vista

Die Tage zwischen Leadville und Buena Vista sind geprägt von Herausforderungen und Überraschungen. Während wir eisigen Winden trotzen und schwierige Entscheidungen auf exponierten Graten treffen, verwandelt unerwartete Freundlichkeit von Fremden unseren Kampf in eine Geschichte voller Dankbarkeit.

CDT Tag 90 – Waldwanderung

21,2 km / 710 hm / 5 h

Nach leckeren Tortas vom mexikanischen Foodtruck in Leadville hitchen wir mit Justin zurück zum Trail. Der Weg ist heute nicht sehr spektakulär, er windet sich im Auf und Ab durch dichten Wald und bietet dabei kaum Aussicht. Hörbücher halten uns bei Laune.

Ich denke über Mount Elbert nach, denn der höchste Gipfel Colorados liegt zum Greifen nah. Ein Abstecher ist hier üblich, aber wir sind beide müde und unmotiviert. Ich habe schlecht geschlafen, wahrscheinlich weil mein Gehirn im „Stadtmodus“ feststeckte: zu viele Tabs offen, manche abgestürzt, irgendwo spielt Musik – und ich finde den Ausschaltknopf nicht. Das Übliche. Wir verschieben die Entscheidung auf morgen.

Am Abend erreichen wir einen ruhigen Zeltplatz am Fluss. Zum Abendessen gibt es Bibimbap, das Rauschen des Wassers wiegt uns in den Schlaf.

CDT Tag 91 – Goldene Espen

37 km / 1.080 hm / 9 h

Der Großteil des Tages fühlt sich wie ein angenehmer Spaziergang durch den Wald an. Der Weg windet sich endlos unter einem grünen Blätterdach, bietet dabei weiterhin wenig Aussicht, aber immerhin gibt es reichlich Wasser. Nach einigem Hin und Her entscheiden wir, Mount Elbert auszulassen und für ein anderes Abenteuer aufzusparen. Es fällt schwer, den höchsten Gipfel der Rockies auszulassen, aber stattdessen auf dem CDT voranzukommen, fühlt sich richtig an. Die San Juans rufen!

Auf dem Weg nach Twin Lakes wandern wir durch Haine goldgelber Espen. Ihre Blätter fangen das Licht ein und tanzen im Wind. Ihr sanftes Rascheln klingt wie Applaus der Natur. Ein echtes Spektakel aus Sinneseindrücken.

Twin Lakes ist ein kleines Nest zwischen zwei malerischen türkisblauen Seen. Zu dieser Jahreszeit ist es sehr ruhig hier, es gibt einen General Store und nur ein geöffnetes Restaurant in der Lodge nebenan. Der Laden ist extrem hikerfreundlich. Wir finden alles, was wir brauchen. Dazu gibt’s 10 % Rabatt und kostenlosen Kaffee für Thru-Hiker. Danach gönnen wir uns einen Burger und ein BBQ-Chicken-Sandwich in der Lodge mit Brownie-Dessert. Wir kommen ins Gespräch mit Huckleberry, einem Cannabisfarmer aus British Columbia, der wilde Geschichten erzählt. Offenbar sind nicht nur Thru-Hiker mit Pseudonymen unterwegs.

Wir wandern aus dem Ort hinaus, durchqueren einen eiskalten Fluss und schlagen unser Zelt auf einer grasigen Fläche auf, während die Sonne hinter den Bergen untergeht. Die Wolken glühen rot, und in der Ferne heulen Kojoten.

CDT Tag 92 – Herbstfarben auf der Collegiate West

30,7 km / 1.910 hm / 8,5 h

Der Aufstieg zum Hope Pass ist längst nicht so hart, wie ich befürchtet hatte – trotz der fast 1.000 Höhenmeter. Herbstfarben leuchten ringsum, und schroffe Gipfel rahmen den Weg ein. Ich fühle mich heute deutlich besser, vielleicht hat das Kalorien-Gelage gestern geholfen.

Der Abstieg ist steil, führt dann aber in ein sanftes Tal voller goldener Espen. Nach dem Mittagessen starten wir den nächsten Anstieg zum Lake Ann Pass. Wieder ein Tag mit ordentlich Höhenmetern. Wir kämpfen uns durch felsiges Gelände bis ganz nach oben und genießen das goldene Licht der untergehenden Sonne. Beim Abstieg suchen wir uns einfach einen halbwegs flachen Platz für die Nacht.

Wir wissen, dass ein Schneesturm im Anmarsch ist, der uns morgen Nachmittag erreichen soll. Colorado gönnt uns keine Atempause. Es gibt eine Ausweichmöglichkeit nach Buena Vista, aber vorerst drücken wir die Daumen, dass das Schlimmste an uns vorbeizieht.

CDT Tag 93 – Kampf gegen den Schneesturm

22,4 km / 1.180 hm / 5,5 h

Der Tag beginnt mit blauem Himmel, was uns Hoffnung gibt, dass der herannahende Sturm vielleicht nicht so schlimm wird. Doch je weiter wir Richtung Cottonwood Pass aufsteigen, desto dichter ziehen die Wolken auf.  Die Landschaft ist aber immer noch schön. Als wir den Parkplatz am Cottonwood Pass erreichen, wirkt das Wetter noch erträglich. Also machen wir uns auf den Weg zum Grat. Doch dann eskaliert es schnell. Das Wetter schlägt in einen regelrechten Sturm um – Schnee peitscht uns ins Gesicht, der Wind heult bei jedem Schritt lauter.

Wir suchen Zuflucht in einem Windschutz aus Steinen am Beginn des vor uns liegenden Grates und evaluieren unsere Lage. Angesichts unserer exponierten Lage, die noch mindestens 11 Kilometer anhalten würde, entscheiden wir uns, den Rückzug anzutreten. Wir rennen den Berg hinunter, durch den tobenden Sturm und wirbelnden Schnee. Ich fühle mich wie Elsa, die Schneekönigin – nur dass mir die Kälte tatsächlich was ausmacht.

Als wir am Parkplatz ankommen, sind wir vollkommen durchgefroren und entscheiden uns dafür, nach Buena Vista rauszuhitchen. Zitternd stehen wir am Straßenrand und strecken unsere Daumen in das Schneegestöber. Wir haben Glück und bekommen eine Mitfahrgelegenheit von zwei freundlichen Frauen, in deren warmem Auto wir langsam auftauen. Buena Vista ist überfüllt und wir finden an diesem stürmischen Samstagabend keine bezahlbare Unterkunft. Auf der Suche nach Zuflucht landen wir im Waschsalon, wo es immerhin warm ist und es sogar Duschen gibt. Und dann entfaltet sich eine Kette der Freundlichkeit: Eine andere Thru-Hikerin bringt uns über Instagram in Kontakt mit Jessi und Leslie, die uns für die Nacht in einen gemütlichen Airstream einladen. Dankbar fallen wir ins Bett – erschöpft, aber glücklich und dankbar angesichts der Großzügigkeit, die uns an diesem wilden Sturmtag begegnet ist.

Wiedersehen in Salida

Das Wetter bleibt unbeständig, und frischer Schnee auf dem Grat lässt uns zögern. Viele Thru-Hiker sitzen gerade in Hostels fest. Auch wir überlegen: zurück zum Trail oder voraus nach Salida?

Schließlich entscheiden wir uns, nach Salida voraus zu hitchen, um Zeit zu sparen und uns damit bessere Chancen auf die San Juans zu sichern. Wir verpassen dadurch etwa 64 Kilometer Trail, aber manchmal müssen wir einfach flexibel bleiben und Prioritäten setzen. Die San Juans sind wie die Sierra auf dem PCT, etwas, worüber alle CDT Hiker begeistert reden und was keiner verpassen will. Heute ist der 22. September, und der Winter rückt näher. Jederzeit kann es zu mehr Schnee kommen, der die San Juans unpassierbar macht.

Salida überrascht uns mit Begegnungen, Wärme und neuen Kräften. Wir finden hier nicht nur günstige Unterkünfte, sondern auch Sonne, eine stehende Welle mit Flusssurfern und eine entspannte Atmosphäre.

Ich treffe endlich Giggles, ebenfalls eine PCT-Hikerin von 2022, die uns in Buena Vista geholfen hat, indem sie uns mit Trail Angels verbunden hat. Ein persönliches Treffen nach langer Online-Bekanntschaft. Die Thru-Hiker-Welt ist klein und herzlich. Auch Moxie, ein alter Freund vom PCT, schaut vorbei. Zwei Jahre haben wir uns nicht gesehen, aber es fühlt sich sofort vertraut an.

Und als ob das nicht genug wäre, treffen wir auch noch Randi. Er kommt gerade von einem Versuch, Nolans 14 zu bewältigen, dessen brutale Route 14 der über 14.000 Fuß hohen Gipfel (über 4.267 m) von Colorado miteinander verbindet. Er hat fünf von ihnen geschafft, bevor das Wetter ihn gezwungen hat, diesen ambitionierten Plan aufzugeben. 

Ryans Schuhe fallen auseinander und unser Paket mit dem neuen Paar ist nicht angekommen. Doch wir finden ein reduziertes Paar Altras in einem Laden für ihn. Krise abgewendet und es kann weitergehen.

Herausforderungen & Höhepunkte des Abschnitts

Herausforderungen:
Ein Schneesturm am Cottonwood Pass.

Höhepunkte:
Goldene Espen, Wiedersehen mit alten Bekannten, Trail Magic und die Verbundenheit innerhalb der Thru-Hiker-Community.

Lektion:
Flexibilität schlägt Starrsinn. Auf dem CDT geht es nicht nur um das lückenlose Wandern, sondern auch um gute Entscheidungen – für die Sicherheit, den Geist und das große Ganze.

Hier geht’s zum nächsten Abschnitt auf dem CDT:

CDT: Herbst- und Trail Magie – Salida bis Creede

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Die Weltwanderin

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Annika

Ich bin verliebt in die Welt, ihre Berge und das Abenteuer. Seit jeher beschäftigt mich eine starke Sehnsucht nach einem intensiven Leben. Dabei bedeutet Wandern für mich pure Freiheit und Glück. Auf diesem Blog lest ihr alles über meine Abenteuer auf der ganzen Welt.

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Bevor sich Weltwanderin voll auf Thru-Hiking fokussierte, habe ich auch über meine Reisen und alpinen Bergsport geschrieben. Diese Artikel findet ihr hier: