Die Wind River Range fühlt sich an, als würden wir ein wildes, ungezähmtes Meisterwerk betreten. Der CDT schlängelt sich durch gewaltige Granitwände, vorbei an Gletscherseen, riesigen Felsbrocken und tosenden Flüssen. Dieses Land ist voller Leben – Bergziegen balancieren auf felsigen Vorsprüngen, und Stachelschweine huschen durchs Unterholz. Nach einer abenteuerlichen Fahrt mit ein paar Cowboys werden wir von spektakulären Ausblicken auf den Upper Green River Lake und den Squaretop Mountain empfangen. Auf der Knapsack-Col-Alternative kraxeln wir über felsiges Gelände und genießen die abgelegene Wildnis der Wind River Range auf unserem Weg nach Lander.
CDT Tag 59 – Eine wilde Fahrt in die Wind River Range
Der Morgen beginnt mit noch mehr Regen, ein trüber Start, der wie ein Versprechen auf einen nassen und düsteren Tag wirkt. Aber die Wettervorhersage für morgen macht Hoffnung auf Besserung, also sind wir in guter Stimmung. Wir stapfen durch den kalten Regen in Richtung Besucherzentrum, einem warmen Zufluchtsort, der nach Kakao duftet und gemütliche Sofas sowie Leckereien für erschöpfte Thru-Hiker bereithält. Gerade als wir glauben, der heutige Tag wäre verloren, bricht die Sonne durch die Wolken, trocknet die Pfützen und wir machen uns daran, per Anhalter zurück zum CDT zu kommen.
Insgesamt braucht es vier Mitfahrgelegenheiten, eine davon eine wilde Fahrt auf der ungesicherten Ladefläche eines Cowboy-Trucks. Staubig und durchgerüttelt erreichen wir den Trailhead am Green River Lake. Wir sind zurück auf dem CDT, es fühlt sich an wie Heimkommen. Squaretop Mountain thront majestätisch über dem türkisfarbenen Wasser – ein Anblick wie aus einem Fantasy-Roman. Wir laufen nur noch ein kurzes Stück, bevor sich der Himmel wieder verdunkelt und wir unser Zelt im Schutz der Bäume aufschlagen. Ein stürmischer Empfang – aber ein würdevoller Auftakt für die Wind River Range.
CDT Tag 60 – Ein nebliger Morgen und Geröllkraxelei
Kalter Morgen, dichter Nebel. Während wir aufsteigen, lichtet sich der Nebel und gibt den Blick auf die Landschaft frei. Squaretop Mountain spiegelt sich im milchigen Gletscherfluss, während unsere Füße im nassen Gras frieren. Ein Meer aus Felsen erwartet uns, Pikas pfeifen zwischen hausgroßen Brocken. Wir kraxeln orientierungslos durchs Geröll, verlieren kurz den Trail, bevor wir einen Pass erreichen. Graue Wolken sind aufgezogen, und es sieht aus, als würde es jeden Moment regnen. Wir steigen Richtung Peak Lake ab, wo bereits Zelte an den schneebestäubten Berghängen stehen. Ein lauter Donnerschlag entscheidet: Wir bleiben hier. Vor uns liegt ein 3.700-m-hoher Pass, der für dieses Wetter nicht geeignet ist.
CDT Tag 61 – Knapsack Col
Nach nächtlichem Sturm weckt uns strahlend blauer Himmel. Wir steigen über Geröll, vorbei an Wasserfällen und Gletscherseen, hinauf zum höchsten Punkt unserer bisherigen Wanderung – dem Knapsack Col. Eine atemberaubende Kulisse, aber der Abstieg ist fordernd: lose Steine, Altschneefelder, steile Hänge. Wir erreichen die wunderschönen Titcomb Lakes, wo wir eine malerische Mittagspause einlegen. Am Nachmittag sehen wir noch viele Seen, steigen zum Lester Pass auf und campen mit Blick aufs Tal. Einer der schönsten Tage auf dem Trail – körperlich fordernd, aber voller Magie.
CDT Tag 62 – Eine Begegnung mit einem Stachelschwein
Am Morgen begegnen wir einem Stachelschwein auf dem Trail! Was für ein beeindruckender Anblick. Es watschelt zur Seite und ich beobachte es eine Weile, wie es sich schüttelt und dabei seine Stacheln zur Schau stellt, bevor es hinter einigen Felsen verschwindet. Morgens ist es noch sonnig, aber wir wissen, dass am Nachmittag Regen kommt. Wir wandern mit Blanket und Humbled, der aufgrund eines gestrigen Sturzes starke Schmerzen in den Rippen und beim Atmen hat. Humbled will es zur Big Sandy Lodge morgen schaffen, um von dort aus rauszuhitchen und sich untersuchen zu lassen. Am Abend kippt das Wetter, es regnet in Strömen, während wir uns eisern vorankämpfen. Erschöpft und frierend, bauen wir schließlich das Zelt auf. Heute zeigt uns die Wildnis ihre raue Seite – mit all ihrer Verletzlichkeit und Entschlossenheit.
CDT Tag 63 – Der Ruf der Big Sandy Lodge
Die Cirque-Alternative müssen wir schweren Herzens auslassen. Ryan hat sich gestern am Fuß verletzt, und wir halten es für das Beste, es ruhiger anzugehen. Dafür gönnen wir uns einen saftigen Burger an der Big Sandy Lodge. Ein magischer Ort mitten im Nirgendwo, ganz ohne Strom, aber voller Wärme. Danach geht es durch Wälder voller Hasen, Rehe und Wapitis, aber auch voller Hindernisse: Blowdowns, steile Pfade, Matsch. Wir zelten auf einer Wiese, gerade rechtzeitig vor dem abendlichen Hagelsturm. Die Wind River Range verabschiedet uns mit einem Paukenschlag.
CDT Tag 64 – Kratziger Übergang zum Basin
Der letzte Tag in der Wind River Range hat es in sich: Wir kämpfen uns durch endlose umgestürzte Bäume, kratzen uns an ihnen die Beine blutig, weichen schließlich auf eine Dirt Road aus – und lösen eine Kuhstampede aus. Die Landschaft verändert sich zunehmend: offener, staubiger, heißer. Am Nachmittag überrascht uns Trail Magic von Lightning, einem ehemaligen CDT-Hiker und Meterologen. Wir lernen etwas über Wolken, trinken Gatorade und essen Kekse. Der Rest des Tages verläuft ruhig, während wir uns durch das Gelände schlängeln. Wir hören zusammen das erste Buch von Per Anhalter durch die Galaxis, eines meiner absoluten Lieblingsbücher.
CDT Tag 65 – Pause in Lander
Die letzten 16 Kilometer bis zur Straße ziehen sich durch trockenes, verändertes Land – die Wüste des Basins kündigt sich an, der vor uns liegende Abschnitt. Wir bekommen schnell einen Hitch nach Lander – zusammen mit fünf anderen Wanderern auf der Truck-Ladefläche. In der Stadt wartet ein Café, eine Dusche und ein kühles Hotelzimmer. Ein Zero Day steht an, und Ryans Fuß erholt sich. Wir lassen unser Bärenspray zurück – ab hier keine Grizzlies mehr. Die Wind River Range liegt hinter uns. Was für ein Kapitel.
Herausforderungen & Höhepunkte des Abschnitts
Herausforderungen:
Langsames Vorankommen durch anspruchsvolles Gelände und das ständige Abwägen zwischen Risiko und Vernunft.
Höhepunkte:
Knapsack Col – ein wildes, raues, alpines Wunderland aus Granit und Gletscherseen. Dazu zahllose Seen, spontane Wiedersehen mit Trail-Freunden und eine Begegnung mit einem Stachelschwein.
Lektion:
Nicht jeder Kilometer bringt dich weiter – manchmal ist es der Moment, in dem du innehältst, Schutz suchst, lachst oder einem anderen Hiker zuhörst.