Auf dem CDT zwischen Steamboat Springs und Winter Park wandern wir über schroffe Grate, steigen in große Höhen auf, zelten an wilden Flüssen und bestaunen die ersten Espen. Die Tage verschwimmen zwischen Stürmen, steilen Anstiegen und dem stetigen Rhythmus des Vorankommens – und erinnern uns daran, dass jeder Moment, selbst der härteste, Teil dieses Abenteuers ist.
CDT Tag 76 – Die ersten Espen und ein Fuchs treten auf
Nachdem wir uns ein Sandwich geholt haben, verlassen wir Steamboat Springs und sparen uns einen langen Highway-Marsch, indem wir eine Mitfahrgelegenheit mit Steve ergattern. Wir wandern eine schattige Schotterstraße entlang, vorbei an hohen Birken, die uns vor leichtem Regen schützen. In der Dämmerung kreuzt ein Fuchs unseren Weg, kurz bevor wir unser Camp aufschlagen.
CDT Tag 77 – Packziegen und Donnerwetter auf dem Grat
Am nächsten Morgen ist es nass und kalt, dichte Wolken versperren jede Aussicht. Wir begegnen Dave, einem Armbrustjäger mit Packziegen, und steigen dann auf einen Grat, der in Nebel gehüllt ist. Plötzlich reißt die Wolkendecke auf und gibt den Blick auf ein atemberaubendes Tal zu Fuße von Sheep Mountain frei. Hier genießen wir unsere Mittagspause.
Als wir den Parkview Mountain erklimmen, grollt Donner über uns hinweg. Regen und Hagel zwingen uns, den Sturm abzuwarten. Zum Glück zieht er schnell weiter, doch eisiger Wind peitscht über den ausgesetzten Grat. Schließlich finden wir Schutz zwischen einer kleinen Gruppe Fichten, die sich in einem Sattel versteckt.
CDT Tag 78 – Langsam und stetig gewinnt das Höhen-Spiel
In der Nacht setzt Regen ein, doch der Morgen ist klar und kalt. Für den Anstieg auf den Parkview Mountain kleiden wir uns in mehrere Schichten. Die letzte Meile ist die steilste auf dem gesamten CDT – ein harter Start in großer Höhe. Das wärmt uns schnell auf, während Wolken über den Grat wabern.
Höhenwandern bedeutet mehr, als einfach nur einen Fuß vor den anderen zu setzen. Ein häufiger Irrtum ist, dass es in der Höhe weniger Sauerstoff gäbe – tatsächlich ist es aber der geringere Luftdruck, der uns zu schaffen macht. Dadurch müssen Lunge und Muskeln härter arbeiten, und Höhenkrankheit droht. Das beste Mittel dagegen? Extrem langsam gehen. So langsam, dass ich nicht schnaufen muss. Und ich meine, nervend langsam. So langsam, dass ich denke: Ich könnte eigentlich schneller gehen, tue es aber bewusst nicht.
Mit dieser Technik meistern wir selbst den steilsten Abschnitt gut und erreichen die kleine Schutzhütte auf dem 3.748 m hohen Gipfel. Die Aussicht ist atemberaubend – im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. Beim Abstieg folgen wir einem farbenfrohen Grat, der mich an Perus Rainbow Mountain erinnert. Immer wieder bleiben wir stehen und bestaunen das Panorama. Unten zwischen den frostigen Felsen piepsen Pikas. Einer thront wie der König der Pikas auf seinem Stein.
Wir wandern weiter in ein Brandgebiet, wo der Weg rau und der Fortschritt langsam ist. Beim erneuten Aufstieg zu einem Pass öffnet sich das Gelände und die Sonne kehrt zurück. Dramatische Felswände rahmen unseren Weg. Oben fragen uns Jäger nach Elchen, wir haben allerdings nur Eichhörnchen auf unserem Weg gesehen. Nach 1.600 m Höhenmetern sind wir froh über den Abstieg, und je tiefer wir kommen, desto wärmer wird es endlich. Wir schlagen unser Camp oberhalb eines Bachs auf, in der Hoffnung, dass der Sommer doch noch nicht ganz vorbei ist.
CDT Tag 79 – Rocky Mountain National Park, Grand Lake und der Colorado River
Wir wachen zu einem weiteren frostigen Morgen auf. Selbst auf niedrigerer Höhe ist die Wiese neben uns von Eis überzogen. Meine Handschuhe schaffen es kaum, meine Finger zu wärmen. Wir steigen hinab in Richtung Straße, überqueren den Colorado River, hier noch ein schmaler Bach, und betreten den Rocky Mountain National Park.
An einer Weggabelung entscheiden wir uns für eine Abkürzung statt der 38-Kilometer-Schleife durch den Nationalpark, da wir keine Campinggenehmigung für den Park haben und der Tag sonst zu lang würde. In einem Brandgebiet schlägt die Kälte schnell in Hitze um. Während einer Pause entdecken wir einen Elch am Fluss – ein Vorteil abgebrannter Zonen: Tiere sind leichter zu entdecken.
Gegen Mittag kommen wir in Grand Lake an und finden überraschend gute Pizza. Die Stadt selbst wirkt künstlich, geprägt von teuren Ferienhäusern und noblen Restaurants. Nach einem kostspieligen Resupply ziehen wir weiter und springen zur Katzenwäsche in den Shadow Mountain Lake. Danach wandern wir noch 13 weitere Kilometer und schlagen unser Lager am Colorado River auf. Beim Abendessen versucht ein neugieriger Fuchs immer wieder, sich uns zu nähern, offensichtlich an Menschen und deren Essensreste gewöhnt. Gut, dass wir unseren Ursack behalten haben.
CDT Tag 80 – Meltdown
Der Morgen startet langsam. Ich fühle mich ausgelaugt, körperlich und mental. Zu vieles belastet mich gerade, und das meiste hat nichts mit dem CDT zu tun. Man kann den Sorgen des „normalen Lebens“ eben nicht einfach davonlaufen, selbst hier draußen nicht. Und dann ist da noch der Druck, vor dem Wintereinbruch Kilometer zu machen. Es ist kalt, mir ist übel, mein Fuß tut weh – ich jammere vor mich hin.
Wir laufen am Colorado River entlang, vorbei an Lake Granby und Monarch Lake. Aber ich stecke zu sehr in Gedankenkreisen fest, um die Landschaft zu genießen. Manchmal fühlt sich Thru-Hiking wie harte Arbeit an. Ich glaube nicht, dass jeder auf einer fünfmonatigen Wanderung jeden Tag glücklich ist. Wenn du Thru-Hiker:in bist, würde ich deine Ehrlichkeit darüber sehr schätzen. Wenn du eine:r werden willst: Sei darauf vorbereitet, dass nicht jeder Tag magisch ist.
Mittags erreichen wir einen kleinen Laden – nachdem wir gerade mal 10 Kilometer geschafft haben. Eine Cola und Chips heben die Stimmung ein wenig. Inzwischen ist es heiß, und wir legen unsere Mittagspause an einem Fluss ein, in dem wir die Füße in eiskaltem Wasser kühlen.
Dann steht ein großer Anstieg bevor. Endlich finde ich meinen Rhythmus und fliege regelrecht den Berg hinauf. Donner grollt in der Ferne, obwohl der Himmel größtenteils blau ist. Ein kurzer Hagelschauer zwingt uns zum Unterstellen, doch er zieht schnell vorbei.
Am Abend treffen wir einen Vater mit seinem Sohn, deren Hund direkt vor uns davonläuft und verschwindet. Ryan hilft bei der Suche, während ich weiterlaufe und das Camp ein Stück entfernt aufbaue. Es ist ein wenig unheimlich, allein im dunklen Wald zu sein. Ryan kommt an, aber den Hund konnten sie leider nicht finden, er hat den beiden jedoch seine Stirnlampe überlassen, damit sie weiter suchen können. Beim Abendessen unter dem Sternenhimmel hoffen wir, dass sie ihn noch finden. Die Vorstellung, dass sie ohne den Hund nach Hause fahren könnten, bricht uns das Herz.
CDT Tag 81 – James Peak
Der erste Anstieg führt uns durch ein abgebranntes Gebiet hinauf zum Devil’s Thumb und bringt uns zurück auf die Continental Divide. Am Rollins Pass werden wir mit spektakulären Ausblicken auf alpine Seen und schroffe Gipfel belohnt.
Hier erreicht uns eine wunderbare Nachricht von Brian, dem Vater von gestern: Sie haben den Hund gefunden und sind sicher aus dem Wald herausgekommen. Es hat zwar gedauert, aber schließlich ließ sich der Hund anleinen. Sie waren sehr dankbar für Ryans Stirnlampe, denn sein Handy war fast leer und ohne die Lampe hätten sie nicht im Dunkeln auf den Hund warten können. Ich habe nicht mal daran gedacht, dass ein Hund Angst vor Dunkelheit haben könnte. Sie schreiben, wie viel Ryans kleine Geste für ihre Familie bedeutet hat. Diese Nachricht zusammen mit der atemberaubenden Aussicht lässt uns das Herz aufgehen.
Wir beginnen einen großartigen Gratweg, überall glitzern alpine Seen. Hinter jeder Biegung leuchtet ein neuer türkis-grüner See zwischen alten Schneefeldern tief unter uns. Es erstaunt uns, dass viele Thru-Hiker stattdessen die Straße nehmen – sie verpassen hier einige der schönsten Ausblicke, die Colorado bisher zu bieten hat.
Nach einer Mittagspause am Rogers Pass folgt der steile Anstieg auf den James Peak (4.037 m). Dunkle Wolken drohen in der Ferne, doch wir haben Glück und laufen unter blauem Himmel. Der Aufstieg ist hart, aber die grandiose Landschaft motiviert uns. Wir lassen eine alternative Gratkraxelei Richtung Flora Mountain aus und bleiben auf der roten Linie, genießen jeden Schritt.
Beim Abstieg füllen wir Wasser nach und laufen bis in die Dunkelheit, um den Bill Moore Lake zu erreichen. Kurz nach Sonnenuntergang erhaschen wir noch einen Blick auf eine Schwarzbärin mit ihrem Jungen. Wir schlagen unser Camp auf und beenden den Tag bei einem kräftigen Abendessen – nach unserem bisher größten Höhengewinn auf dem Trail: stolze 2.000 Höhenmeter.
CDT Tag 82 – Mount Flora
Wir wachen mit Blick auf den See auf, seine steilen Felswände leuchten im Morgenlicht. Nur noch 10 km bis zur Straße, wo wir mittags von unserem Freund Vinny aus Boulder abgeholt werden. Heute haben wir es nicht eilig.
Es stehen noch 550 Höhenmeter bis zum Flora Peak an. Durch die gut angelegten Serpentinen ist die Steigung angenehm, und obwohl wir ein Geröllfeld queren, ist der Weg perfekt angelegt. Flache Steine machen das Vorankommen leicht. Es muss viel Arbeit gewesen sein, diesen Trail so gut auszubauen, und wir sind dankbar dafür. Meine Atmung und mein Rhythmus fühlen sich inzwischen deutlich besser an als noch zu Beginn von Colorado.
Oben am Gipfel suchen wir Schutz vor dem kalten Wind hinter einer kleinen Steinmauer. Der Abstieg ist einfach, ein weicher Pfad, auf dem wir nicht vorsichtig auf jeden unserer Schritte achten müssen. Wir folgen dem Grat, links liegt ein wunderschöner See, vor uns die Straße. Die letzten beiden Tage waren landschaftlich unglaublich schön – Colorado enttäuscht uns nicht. Wenn ihr nur einen Abschnitt des CDT wandern wollt, empfehle ich Colorado im Spätsommer.
Am Trailhead warten wir auf Vinny, der uns nach Boulder mitnimmt. Währenddessen unterhalten wir uns mit anderen Wanderern, ergattern zwei Bananen und treffen CDT-Hiker, die gerade aus Winter Park zurückkommen. Wir lassen Winter Park zugunsten von Boulder aus – denn dort wartet bayerisches Essen!
Zero in Boulder
Boulder ist charmant, mit Fußgängerzonen und Outdoor-Cafés. Wir besuchen eine Rooftop-Bar, auf der man Essen aus der Food Hall im Erdgeschoss mitbringen darf. Ein Risotto entpuppt sich überraschend als Star des Abends. Außerdem stille ich mein Schnitzel-Verlangen in einem tschechisch-polnisch-deutschen Restaurant.
Aber mein absoluter Lieblingsort ist das Dushanbe Teahouse. Ein kunstvolles Gebäude, innen wie außen, mit entspannter Atmosphäre und freundlichem Personal. Die Teeauswahl ist exzellent, die Desserts himmlisch, und der Apfelstrudel ist besser als der im deutschen Restaurant zuvor. Wenn ich in Boulder wohnen würde, würde ich ständig hierherkommen.
Wir treffen uns auch mit Brian, der in Boulder wohnt. Er gibt uns Ryans Stirnlampe zurück und schenkt uns zum Dank einen REI-Gutschein.
Herausforderungen & Höhepunkte des Abschnitts
Herausforderungen:
Steile Anstiege in großer Höhe, unberechenbares Wetter und emotionaler Ausnahmezustand.
Höhepunkte:
Eine der spektakulärsten Gratwanderungen des CDT, mit funkelnden Hochgebirgsseen, dem ersten 4.000er und einem heldenhaften Moment mit Stirnlampe.
Lektion:
Langsam ist nicht schwach. Die Höhe zwingt zur Demut – wer sie respektiert, gewinnt.