Ich hatte mir in den Kopf gesetzt über Silvester zu vereisen, dem Alltag entkommen und der lästigen Pflicht Silvesterpläne in der Heimatstadt zu schmieden. So startete ich eine Aufforderung auf der Plattform StudiVZ sich zu melden, wem es ähnlich ginge und den die Abenteuerlust gepackt hat. Egal wohin, möglichst bald. Sidney, ein Studienkollege, meldete sich daraufhin.
Wir zogen Prag und Amsterdam in die engere Auswahl, besorgten eine Unterkunft, er kam am 31. Dezember mit dem Bus aus Lübeck und wir fuhren zusammen nach Prag um dort Silvester zu verleben und die Stadt zu erobern. Auch Zac, ein kleiner gefleckter Kuschelkater, gehört zur Reisegesellschaft und ist überall dabei.
Nach der Fahrt über die eingeschneite Grenze mit märchenhaftem Winterwald am Rande des Erzgebirges, rustikalen Grenzstädten Tschechiens, die vor allem durch ihre Nachtclubs auffallen, Kauf von viel zu viel Wasser seitens Sidney (auf Nachfrage ob er wirklich 9l Wasser für 3 Tage Aufenthalt bräuchte, brummte er nur), kommen wir am Nachmittag in Prag an. Nach langer Suche finden wir unser Hotel und gewinnen dabei einen ersten Eindruck. Erst hier wird Sidney die Fehlplanung seines immensen Wasservorrats bewusst und fragt sich natürlich wozu er soviel Wasser bräuchte (in der Tat trank er im Übrigen auch nur eine der Flaschen leer). Das architektonische Wahrzeichen Prags, das „Tanzende Haus“ und dessen geschwungene Linien, sehen wir bei unserer Irrfahrt.
Die Altstadt Prags
Nach dem Einchecken im Hotel machen wir uns mit der Straßenbahn auf den Weg in die Stadt und erkunden die nächtlichen Gassen bis zum Altstädter Ring und der markanten Teynkirche, deren Spitzen hell erleuchtet sind und aus deren Fenstern warmes gelbes Licht flutet. Dadurch sehen die vielen winzigen Turmfenster wie eine Vielzahl kleiner Augen aus. Die Türme selbst könnten direkt aus einem Märchen entsprungen sein. Der Altstädter Ring zählt zu Europas größten und schönsten Stadtplätzen. Seit dem 10. Jahrhundert ist er Prags öffentlicher Platz Nummer Eins, und bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts diente er als Hauptumschlagsplatz für Waren aller Art. Auf dem großen Platz befinden sich ein kleiner Weihnachtsmarkt und ein großer Weihnachtsbaum.
Die Gassen sind schön geschmückt, die Bäume mit Lichterketten dekoriert. Kalt ist es und wir suchen eine Bar zum Aufwärmen. Bei der Suche treffen wir auf einen Engländer und Halbfranzosen, der sein Deutsch an uns erprobt. Er nimmt uns kurzerhand mit in eine Bar, wo er mit einigen Freunden – vor allem Franzosen – feiert. Friedrich, so sein Name, erzählt sehr viel und will viel wissen. Schöne Augen hat er auch.
Nach einem Bier gehen wir wieder, jetzt über die Karlsbrücke, das wohl bekannteste Wahrzeichen über der Moldau. Man hat einen schönen Ausblick auf die Prager Burg und die Altstadt, die sich im Wasser spiegeln. Die Brüstung der Karlsbrücke ist geschmückt mit 30 Barockstatuen. Am Ostende der Karlsbrücke ragt der elegante Altstädter Brückenturm in den Himmel.
Am Kleinseitner Ende der Brücke stehen zwei weitere große Brückentürme, die durch Scheinwerfer erstrahlen. Die Gassen erscheinen golden durch das Laternenlicht. Viel gibt es hier zu entdecken, aber kalte Füße beschränken uns und lassen uns wieder in eine Bar, einer kubanischen, einkehren wo wir auf eine Gruppe Deutsche treffen. Kurz vor Mitternacht begeben wir uns zurück zur Karlsbrücke, wo bereits ein dichtes Gedränge herrscht. Hier ist kaum ein Durchkommen möglich und die besten Plätze an der Brüstung sind schon belegt.
Silvester an der Moldau
Wir gehen nach unten und erleben den Beginn des neuen Jahres an dem Ufer der Moldau – Karlsbrücke, Altstadt und viel Feuerwerk im Blick. Viele Schiffe sind auf dem Wasser um die Menschen vom Wasser aus Silvester erleben zu lassen. Sicher auch keine schlechte Option.Nach dem Feuerwerk drängen wir uns über die Karlsbrücke und gehen wieder zum Altstadtring wo wir vor der Weihnachtsbaumkulisse unseren Sekt vertilgen.
Um uns abermals aufzuwärmen und für einen Mitternachtssnack (eher ein 4-Uhr-Snack) gehen wir zu Subway und sind nach einer abenteuerlichen Fahrt mit den Nachtstraßenbahnen im Bett. Die Organisation der Öffentlichen Verkehrsmittel ist zwar sehr gut, da anlässlich des Neujahrs Sonderfahrzeiten eingeführt wurden, jedoch sind wir etwas planlos was die richtige Linie angeht und brauchen deswegen etwas länger.
Prag ist im Winter ziemlich trüb, die Sonne taucht Prag nicht in warmes Licht und die Stadt hat mit Smog zu kämpfen. In der Nacht entwickelt Prag jedoch einen ganz eigenen Charme dank des warmen Lichts der nostalgischen Laternen und den angestrahlten uralten Häusern. Buchstäblich erstrahlt die Stadt bei Nacht in einem anderen Licht. Man kann viele Details Prags entdecken, aber es ist sehr kalt und deshalb nochmal im Sommer anzustreben, wenn auch die vielen Gärten und Parkanlagen grünen.
Wir schlafen etwas länger aufgrund der späten Heimkehr, brechen gegen Mittag auf und fahren abermals mit der Straßenbahn in die Stadt. Hier besteigen wir die Prager Metro. Das ÖPNV-System Prags ist hervorragend organisiert, man gelangt schnell, zuverlässig, günstig und einfach überall hin. Von unserem Hotel sind es nur 12 Minuten in die Innenstadt. Die Prager U-Bahnhöfe sind bunt gekachelt, die Rolltreppen führen sehr steil in die Tiefe unter das bunte Treiben Prags. Zac war heute schon mutiger und verfolgte das Geschehen von einem Spalt in meiner Tasche mit.
Prager Burg
Wir laufen hoch auf die Prager Burg, genießen dort erstmal die Aussicht auf die Dächer Prags. Die Prager Burg ist Prags bekannteste Attraktion und schon fast eine kleine in sich abgeschlossene Stadt. Weiterhin ist es die größte historische Burganlage der Welt, 570m lang und 128m breit.
Über die Georgsgasse gelangen wir auf den dritten Burghof. Hier beeindruckt der riesige St.-Veits-Dom. Auf den ersten Blick scheint es sich um atemberaubende Gotik zu handeln, in Wirklichkeit wurde das dreibogige Hauptprotal aber als eins der letzten Kirchenteile erst 1953 fertiggestellt. Wir haben kalte Füße und wärmen sie uns erst einmal im Burgcafé mit einer heißen Schokolade für den Magen.
Das pittoreske Goldene Gässchen verläuft entlang der nördlichen Burgmauer und wird von winzigen bunten Häuschen flankiert. Allerdings kostet das Goldene Gässchen Eintritt und so erhaschen wir nur einen kleinen Einblick auf den Anfang der Gasse vom Tor aus, auch auf das blaue Haus mit der Nummer 22, in dem Kafka ein Jahr lang wohnte.
Im zweiten Burghof steht ein barocker Springbrunnen in dem viele Münzen auf trockenem Grund liegen, denn im Winter hat der Brunnen kein Wasser, nicht mal Eis. Zac wirft eine Krone in den Brunnen und wünscht sich etwas, sicher etwas ganz katzenhaftes wie viel Futter und pelzige Katzendamen.
Nerudagasse
Durch den ersten Burghof gelangt man auf den Hradschiner Platz. Das attraktive und friedliche Wohnviertel Hradschin erstreckt sich von der Prager Burg bis zum Kloster Strahov. Wir liefen bis zum Kloster und warfen einen Blick hinein. Auf dem Klostergelände befindet sich weiterhin eine große Klosterbibliothek, die aber Neujahr geschlossen hat.
Es wird langsam dunkel und der Platz erstrahlt im Licht der Laternen und der blauen Stunde. Ein schöner Anblick. Ein wenig Schnee kommt auch vom Himmel, allerdings eher nass als fest. Nun gehen wir abwärts und der Weg vom Kloster bis in die Nerudagasse ist wirklich zauberhaft. Die kahlen Bäume, die ihre Äste auf den Weg ragen lassen, die zahlreichen Laternen am Wegesrand, der zarte Schnee, der die Wege bedeckt – aber auch rutschig macht -, der Blick über die Dächer der Kleinseite und auf den Prager Eiffelturm – eine 62m hohe Eiffelturmnachbildung im Rahmen der Prager Ausstellung.Die Nerudagasse ist schmal und übersät mit vielen Cafés und Restaurants. Hier essen wir typisch tschechisch – böhmische Knödel, allerdings ohne den dazugehörigen Schweinebraten für mich. Obwohl das Restaurant hübsch anmutete, waren die Kellner unfreundlich und trotz der dreisprachigen Speisekarte und touristischer Hochburg der englischen Sprache nicht ganz Herr, weswegen Missverständnisse auftraten. Geschmeckt hat’s trotzdem, auch dem Kater.
Wenzelsplatz
Wir gehen zurück über die Karlsbrücke in die Altstadt und von dort zum Wenzelsplatz, der im Mittelalter als Pferdemarkt diente. Es handelt sich eher um einen breiten Boulevard als einen Platz im eigentlichen Sinn. Der Platz ist größtenteils eine Mischung aus Kapitalismus-Monumenten, pompöser Galerie, vieler gleichgeartete Würstchenbuden, Fastfood-Restaurants und kostspieligen Hotels. Hier entdecke ich auch das „Hotel Ambassador“, eben dieses Hotel in dem meine Mutter ihre Hochzeitsreise verbrachte. Wir finden einen Starbucks und Zac und Sid genießen hier ihren ersten Chai Latte und lernen ihn sofort lieben. Wir laufen dann ein wenig abseits des Platzes und finden den „kubistischen Laternenpfahl“. Er stammt von 1915 und sucht weltweit seinesgleichen.
Die Národní třída ist eine Straße im Herzen Prags unweit vom Wenzelsplatz. Sie wird von zahlreichen mittelteuren Läden und öffentlichen Gebäuden wie dem Staatstheater flankiert. Wir betreten hier das „Rock Café“ und trinken ein tschechisches Bier – Pilsener Urquell. Zac schlürft auch ein wenig mit, stellt aber fest, dass Bier nichts für kleine Kater ist.
Mit dem etwas benebelten Zac landen wir um Mitternacht wieder im Hotel und nach dem Schmökern in der mitgebrachten Reiseliteratur schlafen wir.
Bibliothek im Kloster Strahov
Heute schneit es dicke feste Schneeflocken, die Prag überzuckern. Wir haben uns mittlerweile an die klirrende Kälte gewöhnt und unsere Füße frieren heute nicht mehr. Allerdings verwandelt der Schnee die Prager Zebrastreifen in wahrhafte Todesfallen. Die weiße Farbe wird extrem glatt bei Schnee. In Prag gibt es wahnsinnig viele Zebrastreifen, an jeder Ampel und dazu noch viel mehr. Scheint also nicht den Zweck zu verfolgen besonders fußgängerfreundlich zu sein, sondern unschuldige Touristen zu ermorden und sie dann zu Knödeln zu verarbeiten.Nach dem Frühstück im Hotel fahren wir bis zur Klosterbibliothek beim Kloster Strahov, die gestern geschlossen hatte.
Mit 50 Kronen für Studenten ist man dabei und kann die größte Klosterbibliothek des Landes und seine zwei Barocksäle begutachten. Die Räume selbst darf man nicht betreten, damit die Luftfeuchtigkeit der ausatmenden Besucher den Büchern nicht schadet. Der zweistöckige Philosophische Bibliotheksaal ist sehr beeindruckend. So stelle ich mir meine Bibliothek auch vor, nur mit gemütlichen Ohrensesseln zum Schmökern. Auch auf dem Gang stehen dicke alte Wälzer in den Regalen, bei deren Anblick man das Gefühl hat, dass sie bei geringster Berührung zu Staub zerfallen würden. Der zweite Theologische Bibliothekssaal ist nur einstöckig, aber wartet dafür mit alten Globen und riesigen aufgeschlagenen Büchern auf praktischen Bücher-Dreh-Tischen auf. Auch die sogenannte Xylothek ist interessant. Jede der buchförmigen Schachteln steht für einen bestimmten Baum und ihr Einband ist aus dessen Holz und Rinde gefertigt. Walpenisse gibt es hier zwischen einem Modellschiff und einem Narwalstoßzahn auch zu sehen, aber das ist eine andere Geschichte.
Altstadt
Wieder mal gehen wir über die Karlsbrücke, dann über den Krönungsweg – die rituelle Route der tschechischen Könige auf dem Weg zur Krönung im St.-Veits-Dom oben auf der Burg – zum Altstädter Ring um die Altstadt nochmal bei Tageslicht zu betrachten. Hier gehen wir erst einmal in den örtlichen Starbucks um einen weiteren Chai Latte zu trinken und Postkarten zu schreiben. Danach gehen wir in das Altstädter Rathaus, in dessen 60m hohem Turm man gegen Eintritt gelangen kann.
Die Astronomische Uhr
Darauf verzichten wir und begutachteten wenig später das stündliche Spektakel der Astronomischen Uhr. Eine komplex gefertigte Uhr von Uhrmachermeister Mikulás von Kadane. Zu jeder vollen Stunde läutet der Tod die Glocke und dreht sein Stundenglas um. Zwölf Apostel im Fenster über der Uhr drehen ihre Runde und nicken der Menge zu. Die Schreibe in der Mitte der Installation stellt alle Teile der Welt dar, lässt Sonnenaufgang und –untergang ablesen, weiterhin ist eine astrologische Sternenuhr Teil des Ganzen, ein Kalendarium und natürlich die Uhrzeit.
Wir schauen uns die Teynkirche an, wo gerade eine Messe inklusive eines Orgelspiels stattfindet. Der Klang der Orgel ist überwältigend. Wir besuchen das Schokoladenmuseum und erfahren einiges über Herkunft der Kakaobohne, die sogar als Währung der Atzeken Verwendung fand.Danach folgen wir weiter dem Krönungsweg über den Pulverturm bis zum Platz der Republik und dem Repräsentationshaus, einem überschwänglichen Gebäude. Wir werfen einen Blick ins Innere des riesigen Einkaufszentrums Palladium, diskutieren über den Ursprung des Biers und überlegen wie wir den Abend nutzen. Wir entschließen uns das Metronom auf der anderen Seite der Moldau zu besichtigen. Über eine gigantische Stufenterrasse gelangen wir zu dem riesigen Metronom, das vor allem nervig durch sein ständiges „Kling!“ war, aber die Aussicht von dort oben auf das schneebedeckte Prag ist grandios. Dafür lohnt sich der Aufstieg.
Vysehrad Festung
Dann spazieren wir an der Moldau entlang, vorbei am Tanzenden Haus bis zur Festungsanlage Vysehrad. Hier fand die erste Besiedlung Prags statt. Oberhalb der gigantischen Festungsmauern hat man wieder einen wunderbaren Ausblick auf Prag und die Moldau. Dominiert wird die Festung von der Kirche St. Peter und Paul. Auch diese Zwillingstürme funkeln romantisch zu einem hinab. Wir laufen weiter über die Anlage, den verschneiten Park, vorbei am Leopoldstor und dem Haupteingang zur Zitadelle, dem Tábortor. Wenn man der Mauer folgt erhält man noch einen wunderbaren Ausblick auf die Seite abseits der Moldau und eine hohe Brücke. Die Festung war ein würdiger Abschluss des Pragbesuchs, sehr empfehlenswert.Wieder sind wir Mitternacht zu Hause und ruhten unsere müden, wund gelaufenen Füße, die uns im Hotel die Dienste versagten und uns kaum noch kriechen lassen konnten, aus.
Es war wirklich ein perfekter Aufenthalt, wir haben viel gesehen, tschechisches Essen und Kultur genossen, tschechisches Bier getrunken und uns trotz Kälte nicht abhalten lassen die Stadt zu erkunden. Die zahlreichen Cafés und Gaststätten haben unsere kalten Füße immer wieder aufgewärmt. Leider gab es keine Katzendamen für Zac, wir trafen nicht eine Katze auf unseren Wegen. Dennoch hat auch ihm der Besuch, das erste Bier und der erste Schnee seines Lebens gut gefallen. Immerhin bestand seine Welt bis dahin nur aus 16m² und vier Wänden. So hat er nicht nur Berlin in den letzten Wochen kennengelernt, sondern auch Prag. Ein weitgereister, welterfahrener Kater, für den es sicher nicht die letzte Reise war.