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Spitzbergen: Besuch bei den Eisbären in der Arktis

Spitzbergen ist der Arktische Norden wie man sich ihn vorstellt. Svalbard nennen die Norweger diese abgelegene Inselgruppe im Nordpolarmeer. Es ist ein Ort dramatischer schneebedeckter Bergipfel und Gletscher, üppiger grüner Tundra und tiefblauer Eisberge. Ein Ort, wo die Mitternachtssonne und der dunkle arktische Winter eine ganz eigene Magie beinhalten. Dazwischen tummeln sich Eisbären, Walrosse und Eisfüchse in der kargen Eiswüste.

Nach meinem Abenteuer in der Antarktis war für mich klar, dass ich auch den hohen Norden erkunden will. Eisbären in ihrem natürlichen Gebiet beobachten und die Wunder des nördlichen Eismeers bestaunen, stand für mich weit oben auf der Liste. Diesen Sommer ist es soweit und das Ziel ist Spitzbergen, wo die Chancen auf Eisbärensichtungen am höchsten sind.

Die besten Chancen auf Wildtiersichtungen hat man dabei auf einer Expeditions-Schifffahrt. Nicht immer sind Umrundungen von Spitzbergen möglich, die sich ganz nach Wind und Wetter richten, aber es sieht aus als hätten wir Glück und können in den nächsten acht Tagen ganz Spitzbergen kennenlernen.

Im Gegensatz zur Antarktis ist so eine Schifffahrt hier deutlich ruhiger, denn wir befinden uns immer in Küstennähe und fahren nicht über offene Gewässer wie die berüchtige Drake-Passage. Seekrankheit ist somit kein Thema hier oben.

Spitzbergen sieht beim Landeanflug nicht nur frostig aus, sondern ist es auch. Acht Monate im Jahr herrschen Temperaturen unter Null. Und dennoch ist es nicht mehr kalt genug, denn der Klimawandel ist auf Spitzbergen deutlich zu spüren. Gehören wir vielleicht sogar zu den letzten Generationen, die hier Eisbären beobachten können?

Ablegen in Longyearbyen

Nach unseren ersten Tagen in Longyearbyen auf Spitzbergen begeben wir uns am Nachmittag auf das Schiff, das für die nächsten Tage unser Zuhause sein und uns die Wunder der Arktis zeigen soll. Dichter Nebel hat sich am Nachmittag über die Stadt gesenkt und eröffnet nur hin und wieder Aussicht auf die Gletscher, die Longyearbyen umgeben.

Als wir gegen Abend den Hafen im Isfjord verlassen scheint jedoch die Sonne und Eissturmvögel begleiten unser Schiff. Wir entdecken auch den ersten Papageitaucher unter uns im Wasser. Ein besonderer Moment für mich, denn schon immer wollte ich diese hübschen Vögel mit ihrem unverkennbaren bunten Schnäbeln sehen. In Island hatte ich dieses Glück bisher nicht. Auf Spitzbergen gibt es zwar keine großen Kolonien wie auf Island, aber einzelne Papageitaucher fliegen häufig mal vorbei. 

Die Sonne wird für uns auch die nächsten Tage nicht untergehen und uns beim Versuch zu schlafen ins Gesicht scheinen. Die ganze Nacht ist es mega sonnig und auch die dunklen Vorhänge bieten keine vollständige Abdunklung. Durch die ständige Helligkeit habe ich immerzu das Gefühl etwas zu verpassen, da man theoretisch 24 Stunden Ausschau halten könnte. Von Mitte April bis Ende August strahlt die Mitternachtssonne über den Horizont und sorgt für Nährstoffwachstum unter dem Meereis, auf das Fische und Meeressäuger angewiesen sind und damit auch Eisbären, die auf die Robben angewiesen sind.

2. Tag: Tundra und Bergwelten – Magdalenefjord

Nach dem obligatorischen Biosecurity-Check, bei dem Rückstände von Samen oder anderen invasiven Spezies aus unserer Kleidung entfernt werden, und der Erläuterung einiger Verhaltensregeln, erreichen wir den Magdalenefjord unter einem spektakulärem blauen Himmel. Wir packen uns warm in die uns zur Verfügung gestellten Parkas und Gummistiefel ein, steigen in die Zodiacs und erkunden die Gegend im Fjord. Der Fjord ist von Gletschern und hohen spitzen Bergtürmen umgeben, die sogar schon mehrfach Ziele von Bergsteigerexpeditionen wurden. Auf den Spitzbergen Inseln gibt es etwa 1.100 Gletscher von denen viele direkt an der Küste enden.

Das Wasser im Fjord ist spiegelglatt und durchzogen von Eisschollen. Dabei begegnen wir Seehunden, die auf Steinen vor dem Gletscher ausruhen. Die Seehunde gibt es nur auf der Westseite Spitzbergens, da es ihnen im Osten zu kalt wird. Außerdem ist es die einzige Robbenart auf Spitzbergen, die lieber auf Felsen statt auf Eis liegt. Nonnengänse und Eiderenten schwimmen an uns vorbei. Wir beobachten eine Schar Krabbentaucher, die in den Felsen nisten. Ihre Rufe klingen wie Gelächter in der Luft. Hinter uns erheben sich steile, schroffe und dunkle Berge, die von einem gewissen Alter zeugen. Ein weiterer Seehund schwimmt neugierig an uns vorbei.

An Land der kleinen sandigen Halbinsel erklärt uns der langbärtige Historiker Gerard Hintergründe zur Walfang-Zeit. Hier auf Gravneset („Gräberhalbinsel“) gab es bis ins 17. Jahrhundert hinein eine englische Walfangstation. Über 150 Walfänger sind hier vergraben und dieser Friedhof ist das einzige Gebiet auf Spitzbergen, das abgesperrt ist, damit keiner die Überreste der Verstorbenen entwenden kann. Aufgrund der Frosthebung sind immer wieder Sargbretter und Skelette an die Oberfläche gelangt, die sowohl von Eisbären als auch von menschlichen Besuchern verstreut oder entwendet wurden. Daneben sind immernoch einige Reste alter Blubber-Öfen zu finden. Mehr als Erdhaufen mit einer Mischung aus Steinen und Waltran sind allerdings nicht mehr zu sehen.

Außerdem findet sich hier ein Brutgebiet von Küstenseeschwalben. Hinter einer Rangerhütte des Sysselmannen befindet sich eine kleine Anhöhe von der wir einen schönen Blick über den Fjord genießen. Um uns herum befindet sich saftiges Grün, ein kleiner Bach und ein Teich. Die Vegetation ist karg und besteht nur aus wenigen niedrigen Gräsern, Moosen und Flechten und bietet doch einen Kontrast zu der sonst eher schroffen Landschaft. Dafür sorgt die Guano-Zufuhr der zahlreich hier nistenden Vogelkolonien.

Um das Gebiet um uns herum zu sichern, stehen stets Eisbärenwächter in einiger Entfernung zu uns, sodass es nicht zu unerfreulichen Begegnungen kommen kann. Vor jedem Landgang prüft die Crew zuerst die Umgebung mit Zodiacs und dann an Land um gar nicht erst in die Bredouille zu kommen auf einen Eisbären zu treffen. Eisbärenbeobachtungen werden stets nur vom Zodiac oder Schiff aus durchgeführt. Das schützt nicht nur uns, sondern vor allem auch die Eisbären. Erst letzte Woche kam es auf einer solchen Landkontrolle eines Expeditionsschiffs zu einem Zwischenfall mit einem Eisbären, der leider für ihn tödlich und mit einem verletzten Mitarbeiter endete. Um genau das zu vermeiden gibt es strenge Sicherheitsvorkehrungen. Das ist auch der Grund warum außerhalb der Siedlung Longyearbyen eine Waffenpflicht herrscht.

3. Tag: Die Welt des Eises – Monacobreen & Mushamna

Nebel kann der schlimmste Feind auf Spitzbergen sein. Auf der anderen Seite kann so eine Nebelbank Gletscher mystisch und aufregend machen. Das Krachen und Grollen der Eismassen scheint von überall herzukommen. Dazwischen begegnen wir Seevögeln und Robben, die diesen Ort als ihr Zuhause auserkoren haben. Während wir uns mit den Zodiacs durch das Eis des Fjords bewegen und das Schiff im Nebel verschwindet, erleben wir die Arktis wie die frühen Forscher sie erlebt haben mögen: Erhaben und gleichzeitig voller Gefahren. Unser Morgen am Gletscher Monacobreen ist der Inbegriff eines Expeditionstags in Spitzbergen. Das erste Mal fährt die Arktis uns tief in die Knochen. Kaum sind wir zurück am Schiff, bricht ein hausgroßes Stück Eis vom Gletscher ab und versursacht eine riesige Welle. Dieses Gletscherkalben ist immer wieder ein faszinierendes Erlebnis.

Der Nebel begleitet uns bis in den Nachmittag und verhindert eine geplante Landung an der Texas Bar, weshalb wir zum Woodfjord fahren. Wir landen in Mushamna („Mausbucht“), einer wunderschönen Bucht mit Stränden und Tundra. Unheimlich viele Wildblumen und Seevögel wie Weißwangengänse, Meerstrandläufer und seltene Falkenraubmöwen begrüßen uns. Ein einzelnes Walross taucht in der Bucht auf und lässt sich von unseren Zodiacs gar nicht stören. Am Bergkamm finden wir alte Fuchsfallen mit verstreuten Steinen, die als Auslöser dienten. Unter den Pflanzen ist besonders das stengellose Leimkraut interessant. Ihre kräftigen grünen Polster fangen im Frühjahr zuerst auf der Seite zu blühen an, die am kräftigsten vom Sonnenlicht beschienen wird. So weisen die ersten Blüten theoretisch nach Süden, weshalb sie auch als Kompasspflanze bezeichnet wird. 

Vor dem Abendessen kommen wir an der Hütte der österreichischen Pelzjäger Christiane und Hermann Ritter vorbei. Christiane hat ihrerzeit ein Buch über ihre Zeit hier oben geschrieben „Eine Frau erlebt die Polarnacht“, das mich sehr fasziniert hat. Es regt die Fantasie an die Hütte nun mit eigenen Augen zu sehen. So eine einsame Überwinterung in einer so kleinen Hütte, mit Schneemassen und Eisbären vor der Tür, bei viermonatiger Dunkelheit ist kaum vorstellbar.

Am Abend erreichen wir dann Moffen Island, eine donutförmige Kiesinsel um eine Lagune, die vor allem für ihre Walrosskolonie bekannt ist. Deshalb ist die kleine Insel zu einem Naturreservat erklärt worden und wir dürfen uns nicht mehr als 300m der Küstenlinie nähern. Mitte des 20. Jahrhunderts wurden Walrosse auf Spitzbergen fast augerottet und diese Insel war einer der ersten Ruheplätze der sich langsam wieder ansiedelnden Walrosse. Neben den Walrossen sichten wir jedoch auch unseren ersten Eisbären in der Ferne. Er ist wohl hier gestrandet als sich das Eis zurück gezogen hat. Er scheint aber sehr gesund zu sein und verfügt über genügend Fett um auf den kommenden Winter und das Eis warten zu können.

In der Nacht machen wir uns dann auf den Weg Richtung Norden um das Packeis zu erreichen, das aktuell etwa auf 82° nördlicher Breite zu finden ist.

4.Tag: Das Packeis im Norden und ein Sprung ins kalte Wasser

Wir erwachen in einer völlig neuen Welt – der arktische Ozean vor uns ist über und über mit Eisschollen bedeckt. Robben strecken ihre Köpfe aus dem Wasser zwischen den Eisschollen um uns zu begrüßen. Über uns kreisen Vögel – Rissas, schöne elfenbeinfarbene Möwen, und Spatelraubmöwen, Besucher aus Sibirien.

Unser Schiff fährt vorsichtig in diese eisige Welt hinein und wir halten Ausschau nach cremig-gelbweißen Flecken auf dem weißen Eis – Eisbären. Leider ohne Erfolg. Das gefundene Eis ist nicht alt genug und bietet nicht genug Nahrung für Robben, der Hauptnahrungsquelle für Eisbären. Die Kleinstlebewesen unter dem Eis machen die arktischen Gewässer zur den nährstoffreichsten der Erde. So hat das Verschwinden des Eises schwere Folgen für die gesamte Nahrungskette – von den kleinsten bis zu den größten Tieren unseres Planeten.

Nie war ich so weit nördlich wie heute und auch das Schiff hat einen neuen nördlichen Rekord aufgestellt. Wir befinden uns auf der Position 82˚28’31.34”N 018˚41’25.85”E. Nur noch acht Breitengrade trennen uns vom Nordpol, was soviel wie 836 Kilometer sind. Wir sind also fast auf der Spitze der Welt. Es ist ein trauriger Rekord, denn es ist noch nicht Ende der Saison und das Eis ist soweit zurückgewichen wie noch nie. Wenn das Boot in einer Wocher wieder hierher fährt wird es wohl einen neuen Rekord aufstellen. 

Diese Gelegenheit wird am Schopf gepackt – es ist Zeit für den Polar Plunge! Es heißt direkt von der Gangway in das eiskalte Meerwasser zu springen. Ich bin leider raus, denn ich habe mir kurz vor der Reise das Handgelenk gebrochen und trage noch einen Verband nach meiner Operation. Für mich wäre es nur von einem Strand aus möglich ins Wasser hineinzurennen. So schaue ich den Mutigen nur zu wie sie einer nach dem anderen an der wohl nördlichsten Stelle für sie alle ins Wasser hüpfen. Es ist wohl wirklich sehr kalt.

Jeder Tag bringt uns in eine neue Welt und wir können es kaum erwarten zu sehen was dieser Teil der Welt noch zu bieten hat.

5. Tag: Eisbärenland – Karl XII Øya & Chermsideøya

Die Insel Karl XII Oya ist der letzte Halt für Eisbären, die dem Eis hinterher jagen. Wir werden nicht enttäuscht und sichten gleich fünf Bären auf der einsamen Insel. Neben den Bären finden sich auch einige Seevögel, darunter Skuas, Eiderenten und die uns stets begleitenden Rissas. Eisbären stranden manchmal für Monate auf den Inseln, wenn sich das Eis zurückzieht. Andere folgen im Sommer dem schwindenen Eis nach Norden auf der Suche nach Robben. 

Sie können zwar über 900km weit schwimmen, was es aber meist nicht wert ist. Wenn die Eisbären vorher gesund und wohl genährt waren, können sie bis zu vier Monate ohne Nahrung überleben. Sie sparen Energie indem sie sich kaum bewegen. Viel Aktivität ist also von den hiesigen Eisbären nicht zu erwarten, die sich gerade im Energiesparmodus befinden. Einer der Eisbären in den oberen Felsen scheint bereits verstorben zu sein, den anderen geht es aber gut. Die meisten Eisbären sterben durch Verhungern im Zuge des Klimawandels.

Die Inuit jagen Eisbären seit 1.000 Jahren ohne signifikanten Rückgang der Population, das Problem ist die Jagd im großen Stil wie sie noch in Russland und Kanada betrieben wird. In Spitzbergen ist die Jagd seit 1973 verboten und die hiesige Eisbärenpopulation liegt bei etwa 3.000 Exemplaren. Zwischen 1870 und 1973 wurden etwa 30.000 Eisbären auf Spitzbergen und den umliegenden Inseln erlegt, weshalb die Art fast ausgerottet wurde. Ihr Bestand hat sich zwar wieder erholt, doch die Gefahr ist längst nicht gebannt. Der Klimawandel ist mindestens eine ebenso große Bedrohung. Die globale Erwärmung lässt Eis und Schnee schmelzen und zerstört die Lebensgrundlage vieler Tiere, denn die Arktis erwärmt sich etwa doppelt so schnell wie andere Regionen der Erde.

Gut beobachten können wir von unserem Zodiac aus einen Eisbären, der zwischen Felsen nach Vogeleiern sucht. Im Gegensatz zu den anderen Bärenarten der Welt sind Eisbären zu 100% Fleischfresser. Eisbären benötigen eine Ringelrobbe alle drei Tage um ein gesundes Polster für die Sommermonate zu bekommen. Übrigens fressen Bären keine Rentiere, weil ein Bär zuviel Energie bei der Jagd nach ihnen verbrennen würde. Mehr als das Rentier wert wäre. Normalerweise laufen Bären mit einer Geschwindigkeit von 3-4 km/h, sie sind keine Sprinter. Sie sind vor allem spezialisiert auf Robben an deren Atemlöchern im Eis sie stundenlang ausharren können – nicht immer von Erfolg gekrönt. Manchmal erwischen sie auch einen Beluga, der im Eis stecken bleibt. Bei allem geht es darum möglichst viel Energie zu sparen. Hier auf der Insel ernähren sie sich von allem was fressbar ist. Die größten Landraubtiere der Erde werden jetzt zu Nesträubern. Sie nehmen alles – von Eiern bis zu ausgewachsenen Vögeln. Manchmal auch den Kadaver eines verhungerten Bärens.

Wir fahren weiter nach Chermsideøya, eine große Insel nördlich von Gustav V Land. Der Himmel ist klar und das Meer ruhig und so können wir für eine Landung und Cruise in die Zodiacs steigen. Die Landschaft in dieser Polarwüste ist ein starker Kontrast im Vergleich mit der üppigen Tundra in Westspitzbergen. Die Hügel bestehen aus purem Granit mit zerklüfteten Gletschern und Moränentrümmern. Aber auch hier in dieser harschen Umgebung hat das Leben seinen Weg gefunden. Das Wasser ist voller Plankton und Quallen während Rissas an der felsgesäumten Küste nach Nahrung suchen. Robben, Walrosse und Rentiere begegnen uns.

An unserer Anlegestelle stoßen wir auf Geoglyphen aus 1898, die uns an die menschliche Geschichte auf diesem kaum erforschten Teil von Spitzbergen erinnert. Die Namen der Schiffe, die im frühen 20. Jahrhundert die Gegend erkundet haben, sind inform von Steinen am Strand ausgelegt. Darunter befindet sich auch ein deutsches Hakenkreuz, das von einer deutschen U-Boot-Besatzung am Ende des zweiten Weltkriegs hinterlassen wurde. Kurios ist die Geschichte um die hiesige deutsche Wetterstation, die als letzte deutsche Einheit erst ein halbes Jahr nach Kriegsende kapitulierte und abgeholt wurde.

6. Tag: Besuch bei den Walrossen – Alkefjellet, Palanderbukta & Torellneset

Heute werden wir früh am Morgen geweckt, da wir uns den Klippen von Alkefjellet nähern, deren Felsvorsprünge von zehntausenden von Dickschnabellumen bevölkert sind, größere Verwandte der Krabbentaucher. Und noch viele mehr fliegen über und um uns herum, wie Insektenschwärme. Es herrscht ein hektisches Treiben, ein ständiges Kommen und Gehen. Auf der Wasseroberfläche befinden sich Vögel, die ihre ineffizienten Flügel ausbreiten um sich in die Lüfte zu erheben und dabei die Wasseroberfläche aufwühlen. Nicht nur optisch erinnern sie stark an Pinguine, obwohl sie immerhin leidlich fliegen können. Sie sind bessere Schwimmer als Flieger. Auch ein paar Jungtiere können wir beobachten, die gerade erst von ihren Klippen ins Wasser gesprungen sind um ihr Leben in den nördlichen Gewässern zu beginnen. Noch sind sie hier zahlreich, aber in den letzten 15 Jahren hat sich ihr Bestand halbiert. Vermutlich überstehen viele von ihnen den Winter nicht, da ihre fettreiche Nachrung knapp wird. Auch ohne Vögel wären diese bis zu über 100 Meter aufragendende Basaltklippen sehenswert. Zuweilen kommen zwischen den Basaltsäulen kleine Wasserfälle hervor, die Schmelzwasser vom Eis transportieren. 

Während des Frühstücks fahren wir in die Palanderbukta hinein, einem tief an der Westseite von Nordaustlandet gelegenen Fjord. Wir können eine riesige Gletscherzunge mit vielen Spalten sehen, der sich von der Austfonna Eisschicht herunterschlängelt. Nah am Gletscher landen wir mit den Zodiacs und erkunden die Landschaft und die Eisschicht. Dabei begegnen wir Spitzbergenmohn und vielen uralten Meresfossilien zwischen den vielen Steinen.

Wir fahren weiter zu der großen Halbinsel Scaniahalvøya in der südwestlichen Ecke von Nordauslandet. Unser nächstes Ziel ist Torellneset, wo wir eine Gruppe Walrosse beobachten können. In kleinen Gruppen nähern wir uns den riesigen faszinierenden Tieren, die am Strand liegen oder im Wasser spielen und uns ebenso neugierig beobachten wie wir sie. Genau für solche Momente sind wir hier: Wir verhalten uns ganz ruhig und bleiben an unserer Stelle sitzen während die Tiere uns von ganz alleine näher kommen und merken, dass keine Gefahr von uns ausgeht. Wie immer bei Tierbeobachtungen ist es eher kontraproduktiv sich selbst ungeduldig auf die Tiere zuzubewegen, denn so würden sie im Nu verschwinden und das Erlebnis wäre vorbei.

Die bis zu ein Meter langen Eckzähne machen Walrosse unverwechselbar, wobei es nicht ganz klar ist wofür die Eckzähne überhaupt benötigt werden. Bei der Verteidigung und beim Verlassen des Wassers sind sie nützlich und sie scheinen auch ein Statussymbol für männliche Walrosse zu sein. Die sozialen Tiere leben meist in Grupppen von 20-60 Exemplaren. In den 50er Jahren wurden sie auf Spitzbergen fast ausgerottet, mittlreweile gibt es jedoch eine steigende Population von etwa 2.600 Tieren auf Spitzbergen. Immernoch eine traurige Zahl anbetracht der früheren Population von etwa 100.000 Tieren, die die Inseln zahlreich bevölkert haben. Sie ernähren sich überwiegend von einer Muschel im Meeresgrund, die sie mithilfe ihrer senitiven Barthaaren aufstöbern können und von denen sie geschickt das Muschelfleisch aufsaugen. Nur einzelne Exemplare ernähren sich von Robben. Vor anderen Tieren müssen sich die wehrhaften Walrosse kaum fürchten. Nur ein besonders hungriger und verzweifelter Eisbär versucht manchmal ein Kalb von der Herde zu trennen oder im Wasser könnte ein Orca ihnen gefährlich werden. 

7. Tag: Zwischen Rentieren und Gletschern – Kapp Lee and Negribreen

Wir fahren in den Storfjord und ankern am Kapp Lee auf der Insel von Edgeøya, die drittgrößte Insel von Spitzbergen. Der Wind hat aufgefrischt und macht die Fahrt in den Zodiacs ruppiger als gewohnt. Die große Klippe über dem Strand bietet eine Plattform für weichere Sedimentgesteine, die bei Erosion zum Strand hinunter transporiert werden um einen weiche und sumpfigen Hang zu bilden der ideal für grüne Moose und andere Blumen ist.

Die ehemalige Jagdhütte und viele Walross-Knochen zeugen von früher Besiedlung dieses Gebiets. Nicht nur für die Jagd nach Walrossen, sondern auch nach Eisbären und Eisfüchsen. Wir unternehmen einen Spaziergang auf einen Hügel, der uns eine gute Sicht auf die Berge und Gletscher um uns herum, den Storfjorden und das Schiff unter uns bietet. Dabei begegnen wir zahlreichen Rentieren, die friedlich in der Landschaft grasen, und einigen Meeresstrandläufern.

Am Nachmittag begeben wir uns Eisberge passierend nach Nordwesten. Wir ankern vor dem Negribreen Gletscher, einem der größten Gletscherkomplexe in Spitzbergen. Er besteht eigentlich aus mehreren Gletschern, die auf ihrem Weg vom Gipfel in den Fjord zusammenfließen und eine große 50 Meter hohe Eiswand bilden, die sich auf 20 Kilometern Länge erstreckt. Langsam nähern wir uns der gigantisches Eiswand mit den Zodiacs. Immer wieder krachen gewaltige Teile vom Gletscher ins Meer und bilden große Wellen. Immer wenn ein Gletscher kalbt werden Nährstoffe im Meer aufgewirbelt, die massenweise Seevögel sich zunutze machen. Wenn die Vögel anschließend ihre Jungen füttern, tragen die die Nährestoffe aus dem Meer ans Land. Über ihre Ausscheidungen düngen sie den Boden und das fördert wiederrum das Pflanzenwachstum am Fuße der Brutfelsen. Indirekt trägt so das Plankton auch zur Ernährung der Rentiere bei. Unterhalb der Felsen finden sie einen Teppich aus frischem Grün in der sonst so kargen Landschaft, was überlebenswichtig für einen harten und entbehrungsreichen Winter ist. Es ist spannend zu sehen wie alles miteinander verbunden ist.

8. Tag: Eisbärenüberraschung – Gnålodden and Brepollen

Am Morgen erreichen wir Hornsund im Süden Spitzbergens. Ein bisschen ist ein Besuch des Hornsunds wie Spitzbergen in einer Nussschale. Die ganze dramatische arktische Landschaft liegt hier vor uns: Schroffe Berge, Gletscher, Eisberge, dazwischen Seevögel und sogar zwei Eisbären. Wir ankern in Gnålodden, einem dramtischen Hintergrund für unsere morgendliche Expedition. Die Eisbärenwächter gehen wie immer zuerst an Land und entdecken dabei zwei Eisbären im Schnee, was unsere geplante Landung verhindert. So besteigen wir die Zodiacs und schauen uns die Eisbären vom Wasser aus an. Nebel verhindert eine gute Sicht auf die Bären, hebt sich aber bald etwas und wir können einen guten Blick auf die vanille-farbenen Pelze der Bären werfen. Dabei besuchen uns auch Nonnengänse und Papageitaucher. Nach den Bären erkunden wir die großen Eisberge im Fjord.

Kaum sind wir zurück auf dem Schiff heißt es, dass Belugas gesichtet wurden. Leider können wir sie zwischen den grauen Felsen in der Ferne nicht ausmachen. Ob Fels oder Beluga bleibt für mich unklar.

Am Nachmittag erreichen wir bei strahlendem Sonnenschein und ruhigem Wasser Brepollen, die wir mit den Zodiacs erkunden. Brepollen ist fast von allen Seiten von Gletschern umgeben, was ihr dadurch den Namen „Gletscherbucht“ eingebracht hat. Die Sonne taucht die Gletscherspitzen in warmes Licht und das Wasser schimmert unter uns. Wir bestaunen die riesigen Eiswände und Eisbergformationen vor uns an. Über all dem thront der höchste Gipfel im Süden Spitzbergens, der 1.429m hohe Hornsundtind, über uns. Es fällt mir schwer diesen Anblick in Worte zu fassen. Auch am Abend noch können wir diesen Anblick genießen, denn heute findet an Deck des Schiffs ein Barbecue statt.

9. Tag: Rentierbegegnungen in der Tundra – Ingeborgfjellet and Bamsebu

Am Bellsund, dem Eingang zu einem verzweigten Fjordsystem, bietet sich uns eine Gelegenheit auf schöner Tundra zu laufen. Als Tundra wird ein Ort ohne Holz oder freistehende Bäume bezeichnet. Der Strand ist steil und umgeben von lockerem Sandstein über den wir beim Ausstieg von den Zodiacs kraxeln müssen. Oben erreichen wir dann die grünen Hänge auf denen Rentiere grasen. Eine Vielzahl an Vögeln wie Krabbentaucher, Rissas und Skuas begleitet uns mit lauten durchdringenden Schreien.

Am ankern wir vor Bamsebu. Wieder unternehmen wir eine kleine Wanderung. Das Gebiet ist für frühen extensiven Walfang bekannt und so finden sich haufenweise Beluga-Knochen am Strand. Wir kommen auch an einer Jagdhütte mit einigen alten Booten vorbei. Am Abend haben wir dann noch das Vergnügen einen Finnwal zu beobachten, der ganz nah an unserem Schiff meterhohe Wasserfontänen ausstößt.

10. Tag: Eisfüchse – Alkhornet & Templefjorden

Am Morgen wachen wir mit dem Anblick des 428m hohen Felsen Alkhornet auf. Er heißt uns eindrucksvoll im Isfjorden willkommen. Wir steigen auf einen kleinen Berg und genießen den Blick über das Meer und Gletscherablagerungen. Hier begegnen wir unserem ersten Eisfuchs, der geschäftig zwischen Felsbrocken hin und her wuselt. Außerdem genießen wir den Anblick der arktischen Flora, vielfältigen Vogelspezies und Rentieren. Auf dem weiteren Spaziergang begegnen wir sogar noch einem zweiten Eisfuchs, der in Windeseile über die Berge rennt. Eisfüchse sind stets gut getarnt, denn im Winter ist ihr Fell weiß und im sommer bräunlich-grau. So ist er in der winterlichen Schnee- und Eislandschft ebenso gut getarnt wie in der Felslandschaft des Sommers.

Die Füchse haben es hier auf die Eier und Kühen der Vögel zwischen den Felsen abgesehen. Raubmöwen wissen sich aber gut zu verteidigen und zielen mit spitzen Schnäbeln auf die Köpfe ihrer Gegner um sie in die Flucht zu schlagen. Eisfüchse sind wasserscheu, weshalb die Vogelnester auf kleinen Inseln meist vor ihnen sicher sind. 

Der Templefjorden ist der letzte Halt auf unserer Umrundung Spitzbergens. Über der Bucht thront der 766 Meter hohe Temple-Berg, der mit seinen verschiedenen Gesteinsgeschichten Zeugnis einer bewegten geologischen Vergangenheit ablegt. Am Ende des Fjords ergießt sich wieder ein gewaltiger Gletscher ins Meer. Wir beobachten Skuas, die durch die Lüfte schießen, und Papageitaucher, die vergnügt vor uns im Wasser plantschen.

Unten am Strand sammeln wir einen Haufen Plastik ein. Von Fischernetzen über Einweg-Plastik wie Zahnbürsten und Flaschen wird hier alles mögliche an die einsamen Strände gespült. Im Rahmen des „Clean Up Svalbard“-Projekts sammeln die Expeditionsschiffe jährlich drei bis vier Tonnen Müll von den Stränden. Und jeder an Board unseres Schiffes kann sich daran beteiligen die Strände von Spitzbergen zu säubern. Insgesamt werden jährlich ganze 20 Tonnen Müll von Spitzbergens Stränden gesammelt, wovon der Großteil von der Fischerei Industrie stammt.

Als wir Richtung Longyearbyen zurück kehren passieren wir noch die Klippen von Diabasodden, wo zahlreiche Papageitaucher brüten. Dabei entdecken wir zufällig noch einen Eisfuchs, der gerade am Strand sein Unwesen treibt, vermutlich auf der Suche nach Vogeleiern.

Fazit

Für uns endet der Besuch in den arktischen Gefilden hier. Nach einem kurzen Herbst wird sich im Winter die Sonne vier Monate lang hinter dem Horizont verstecken. Früher waren die Meeresarme ständig mit einer dicken Eisschicht bedeckt, wohingegen es jetzt oft nur offenes Wasser gibt. Schon bald könnten die Inseln im Winter so frei von Schnee und Eis sein wie heute im Sommer. Eisbären können Robben nur auf Eis jagen und auch die Robben selbst brauchen eine dicke Schicht aus alten Eisschollen um ihre Jungen dort zur Welt bringen zu können. Liegen die Babyrobben schutzlos im Freien, haben nicht nur Eisbären, sondern auch Polarfüchse und Möwen ein leichtes Spiel. Selbst der Permafrostboden beginnt zu tauen und verliert seinen Halt.

Trotz der eindrücklichen Konfrontation mit diesen unschönen Tatsachen liegt wieder einmal eine einzigartige Erfahrung hinter uns. Mein Traum die Eisbären in ihrer natürlichen Umgebung zu sehen hat sich endlich erfüllt. Vermutlich werde ich dem Nordpol auch nie wieder so nah sein. Im Vergleich zur Antarktis, die von Leben nur so wimmelt, ist die Arktis jedoch relativ karg. Während man in der Antarktis immer irgendein Lebewesen zu Gesicht bekommt, meistens Pinguine, vergehen die Landgänge um Spitzbergen herum auch mal ohne Wildtiersichtung. Spektakuläre Landschaften gibt es jedoch nicht zu knapp – die Berg- und Gletscherwelten Spitzbergens ziehen uns schnell in ihren Bann. Für Naturliebhaber ein ganz besonderes Erlebnis, das hoffentlich auch die uns folgenden Generationen noch erleben können.

 

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