Als Thru-Hiker hat man vor einem eins vor Augen: Das Ziel. Egal wie wahr der Spruch „Der Weg ist das Ziel“ sein mag, trotzdem malt man sich monatelang aus wie man am Ende des Trails steht, denkt sich Foto-Posen aus, lässt Bilder im Kopf entstehen. Jeder will nach über 4.000 km auf dem PCT freudestrahlend und von Gefühlen überwältigt an der kanadischen Grenze stehen oder wo auch immer das Ziel eures Thru-Hikes sein mag. Woran dabei oft vergessen wird, ist die eher banale Realität möglicher Verletzungen, die den Traum zunichtemachen können. Eine mehrwöchige Pause kann das Erreichen des Ziels in Gefahr bringen, sei es aus finanziellen Gründen oder weil der Wintereinbruch das Weiterkommen verhindert. Und ganz ehrlich, auch ich habe daran keinen Gedanken verschwendet.
Tatsache ist: Tagewanderungen oder kürzere Trekkingtouren sind kein ausreichendes Training für einen Thru-Hike. Die Belastung, die über Monate auf unseren Körpern lastet, ist eine ganz andere und kann nicht simuliert werden. Jeden Tag acht bis zehn Stunden auf den Beinen, dabei täglich 40 Kilometer und mehr mit 10 Kilos auf dem Rücken wandernd, und das über mehrere Monate. Überlastungsverletzungen sind keine Seltenheit auf einem Thru-Hike. Eine gute allgemeine Fitness ist hilfreich, schützt aber nicht automatisch vor typischen Thru-Hike-Verletzungen.
Ganz im Gegenteil sogar: Sehr fitte Thru-Hiker legen oft schon zu Anfang ein zu hohes Tempo mit zu großen Distanzen vor, ohne dass ihre Muskeln und Sehen genügend darauf vorbereitet sind, was sie besonders anfällig für diese Verletzungen macht. Nur weil ihr konditionell fit seid, heißt es nicht, dass auch wirklich jeder Teil eures Körpers fit genug ist um mit dieser Belastung mithalten zu können. Weniger fitte Wanderer können gar nicht anders als langsam anzufangen, kürzere Distanzen zurückzulegen und damit ihren Körper langsam an das Pensum eines Thru-Hikes zu gewöhnen. Fit wird man auf einem Thru-Hike ohnehin von ganz allein.
Inhaltsverzeichnis
ToggleMeine Erfahrungen mit Verletzungen auf einem Thru-Hike
Genau das ist mir auf dem PCT passiert. Ich war so glücklich über meine Fitness und die Freude am Wandern vom ersten Tag an, dass ich mir anfangs viel zu viel zugemutet habe. Nach 2 Wochen hatte ich die erste Achillessehnenentzündung, nach 2,5 Monaten einen Überlastungsbruch und eine weitere, weitaus schlimmere Achillessehnenentzündung. Ich habe mir gar keine Gedanken darüber gemacht, dass die konstante Belastung ganz anderes von meinem Körper verlangt. Wie so oft muss man die Erfahrung erst machen, um daraus lernen zu können.
Meine Achillessehnenentzündungen sind klar einem zu schnellen Bergauf-Laufen zuzuordnen, dem meine Sehnen einfach nicht gewachsen waren. Der Ermüdungsbruch lässt sich schwerer zuordnen, da er ungewöhnlicherweise erst nach 2,5 Monaten auf dem Trail geschah und dass obwohl ich zuvor nichts in Geschwindigkeit oder Distanz geändert habe. Ich kann dazu nur Vermutungen anstellen und schreibe es einer Kombination folgender Umstände zu: 1) Schon vor dem PCT hatte ich einen signifikanten Gewichtsverlust und ich habe auch auf dem Trail einfach zu wenig gegessen 2) Meine Schuhe hätten früher ausgetauscht werden sollen. Nur weil das Profil noch einwandfrei aussieht, heißt das nicht, dass auch die Dämpfung noch ihre Arbeit macht. 3) Nach nur einer Woche auf dem PCT habe ich mein tägliches Pensum auf 30 bis 40 km erhöht, das ich dauerhaft aufrecht erhalten habe.
Auf dem Te Araroa hatte ich keine Verletzungen, aber hier habe ich deutlich kürzere tägliche Distanzen zurückgelegt und die Geschwindigkeit war vor allem aufgrund des schwierigen Terrains deutlich geringer. Außerdem war ich hier nur jeweils 2,5 Monate unterwegs. Ich habe festgestellt, dass sich mein Körper nach etwa 2,5 Monaten Thru-Hike auf dem Höhepunkt seiner Leistungsfähigkeit befindet, danach geht es wieder bergab als würde mich mein Körper darauf hinweisen, dass es nun wirklich genug sei. Daraus kann ich nur lernen, dass es definitiv erfolgsversprechender ist es langsamer anzugehen.
Was sind die typischen Thru-Hiker Verletzungen?
Die am häufigsten, gerade in den ersten 1.000 km auftretenden Verletzungen unter Thru-Hikern sind die folgenden:
Achillessehnenentzündung (Achilles Tendinitis): Schmerzen zwischen Wade und der Ferse, die mit Rötungen und Schwellungen verbunden sein können.
Schienbeinkantensyndrom (Shin Splints): Schmerzen entlang der inneren Schienbeinkante.
Plantarfasziitis (Plantar Fasciitis): Schmerzen im Bereich des Fersenbeins und des Fußgewölbes. Die Plantarfaszie verbindet die Fußwurzel mit den Mittelfußknochen und Zehen.
Knieprobleme: Jegliche Schmerzen im Knie
Ermüdungsbrüche (Stress Fractures): Kleine Brüche im Knochen (meist im Fuß), die durch intensive und wiederholte Überbeanspruchung der Knochen entstehen. Sie lassen sich in den ersten Wochen oft nicht auf einem Röntgenbild erkennen und werden daher oft übersehen und als Verstauchung verbucht. Nur ein MRT kann diesen frühen Status sichtbar machen.
Plan zur Verletzungsprävention
1) Spezifisches Training
Findet Übungen, die ganz gezielt eure Füße, Waden und Hüften trainieren. Vor allem Sehnen brauchen recht lange, um sich an die tägliche Belastung anzupassen. Dazu gehören Balance-Übungen, dynamisches Stretching, exzentrisches Training, Krafttraining und eine langsame Steigerung der Belastung.
Mögliche Übungen:
Zehenheben: Stellt euch aufrecht hin, hebt nur die Zehen, während der Rest des Fußes am Boden bleibt. Haltet diese Position für einige Sekunden und lasst dann los. Wiederholt diese Übung mehrmals. Das stärkt die Fußmuskulatur.
Wadenheben: Steht aufrecht und hebt euch langsam auf die Zehenspitzen, senkt euch dann wieder ganz langsam ab. Wiederholt diese Übung mehrmals. Um die Übung noch intensiver zu gestalten könnt ihr langsam auf nur einem Fuß herunterkommen und den Fuß dann wechseln. Dies stärkt die Sehnen und Wadenmuskulatur und fördert zudem die Stabilität.
Ausfallschritte: Macht einen großen Schritt nach vorn in die Ausfallschritt-Position und beugt das vordere Knie während das hintere Knie Richtung Boden gesenkt wird. Dies stärkt nicht nur die Waden, sondern auch Oberschenkel und Gesäßmuskulatur.
Brückenbildung: Legt euch auf den Rücken, stellt die Füße flach auf den Boden und die Arme seitlich neben dem Körper ab. Hebt das Becken an, sodass euer Körper eine gerade Linie von den Schultern bis zu den Knien bildet. Haltet die Position kurz, bevor ihr langsam wieder absenkt. Dies stärkt die Gesäßmuskulatur und die hinteren Hüftmuskeln.
Pigeon Pose (aus dem Yoga): Beginnt im Vierfüßlerstand, führt dann ein Bein nach vorne, so dass das Knie hinter der Hand liegt und der Fuß diagonal zur anderen Hand zeigt. Streckt das hintere Bein nach hinten aus und senkt die Hüften zum Boden. Haltet die Position und spürt die Dehnung in der Hüfte des vorderen Beins.
Das ergänzende Training mit eurem komplett gefüllten Rucksack ist eine gute Idee, aber auch das kann letztlich keine 10-stündigen Wandertage simulieren. Hier findet ihr einen guten Artikel über Training mit Gewicht: https://www.backpacker.com/skills/backpacking-fitness/get-stronger-and-faster-with-loaded-pack-training/
2) Langsames Steigern der täglichen Wanderdistanz
Fangt mit einer kürzeren Distanz an: 20 bis 25 km pro Tag für etwa 2 Wochen, wenn ihr dabei keine Probleme und keine Schmerzen habt, dann könnt ihr auf 25 bis 30 km erhöhen. Nach weiteren zwei Wochen ohne Probleme könnt ihr wieder entsprechend erhöhen und das Prozedere wiederholen, bis ihr dort angelangt seid wo ihr euch wohl fühlt. Bei mir liegt diese maximale tägliche Wohlfühlpensum bei einer Marathon-Distanz von 42 km, andere reißen locker 50 km und mehr. Das muss jeder individuell für sich entscheiden. Lasst euch da nicht stressen und überreden, ihr wisst selbst am besten was sich gut für euch anfühlt und was nicht. Wenn es mit den gefundenen Mitwanderern nicht klappt, dann ist das leider so. Ihr werdet früher oder später jemanden finden bei dem Tempo und Distanz besser zueinander passen.
3) Erholungs-Routinen
Spezifische Übungen für Pausen während eures Wandertags: https://www.youtube.com/watch?v=IFcfGVlnhgw&ab_channel=TrailsideFitness
Spezifische Übungen für das Ende eures Wandertags: https://www.youtube.com/watch?v=j2-uvbzCb2g&ab_channel=TrailsideFitness
Zusatztipp: Kompressionsstrümpfe für die Waden
Um einer Achillessehnenentzündung entgegenzuwirken, empfehle ich, Kompressionsstrümpfe für die Nacht auszuprobieren. Sie können helfen, die Durchblutung zu fördern und Entzündungen zu reduzieren.
4) Zero-Days mindestens alle 10 Tage
Gerade wenn es so gut läuft, die Kilometer nur so vorbei fliegen zu scheinen, ihr euch unbesiegbar fühlt, ist es wichtig trotzdem hin und wieder eine Pause einzulegen, um eurem Körper die Möglichkeit zur Erholung zu geben.
5) Schuhe regelmäßig austauschen
Auch wenn das Profil noch vermeintlich gut aussieht, gehören Trailrunner ungefähr alle 800 km ausgetauscht. Spart hier nicht am falschen Ende. Falls ihr bestimmte, sich wiederholende orthopädische Probleme haben solltet, empfehlen sich vom Orthopäden verschriebene Einlagen.
6) Ernährung
Auch die Ernährung trägt einen wesentlichen Teil dazu bei euren Körper dauerhaft fit zu halten. Es ist nahezu unmöglich auf einem Thru-Hike nicht in ein Kaloriendefizit und einen gewissen Nährstoffmangel zu geraten. Ihr könnt gar nicht so viel Essen mitschleppen wie ihr eigentlich täglich bräuchtet. Auf einem Thru-Hike verbraucht ihr etwa 5.500 Kalorien. Zum Vergleich: 2.000 bis 2.500 Kalorien täglich werden für den normalen Alltag empfohlen. Esst in jedem Fall regelmäßig und geht nie ohne Abendessen schlafen, egal ob ihr hungrig seid oder nicht. Den Luxus auf Nahrung zu verzichten habt ihr auf einem Thru-Hike nicht.
Daher ist es wichtig bei Zero-Days alle Nährstoffe reinzuholen, die ihr während der Wanderung selbst eurem Körper ungenügend zuführt: Vitamine, Calcium, Proteine, Fette. Signifikanter Gewichtsverlust kann Ermüdungsbrüche begünstigen. Verzichtet nach Möglichkeit auf Rauchen, denn auch dies kann die Knochenstruktur angreifen. Auf der Wanderung selbst könnt ihr Nahrungsergänzungsmittel in Erwägung ziehen, z.B. Multivitaminpräparate, Calcium, Magnesium, Omega-3 und Q10.
7) Rucksackgewicht gering halten
Je schwerer ihr tragt, desto größer ist die Verletzungsgefahr. Ein Base Weight von ca. 6 kg ist gut, alles darunter ist noch besser, alles darüber sollte euch veranlassen nochmal über eure Packliste gehen. Erfahrene Wanderer können euch dabei helfen Unnötiges zu identifizieren oder Austauschpotential zu entdecken. Macht euch die zur Verfügung stehenden Ressourcen von persönlichem Kontakt bis hin zu Social Media wie Facebook und Reddit zu nutze. Die meisten erfahrenen Thru-Hiker lieben es Shakedowns zu machen. Nach meinem Ermüdungsbruch habe ich meine Ausrüstung nochmal drastisch reduziert, um mir wortwörtlich die Last von den Schultern zu nehmen.
Tipps zur Behandlung
Sollte es doch zu einer dieser Verletzungen kommen, keine Panik! Sie bedeuten nicht gleich das Ende eures Thru-Hikes. Zunächst gilt es der PECH-Methode zu folgen: Pause, Eis, Compression, Hochlagern. Reduziert zuerst die Belastung auf ein Minimum, am besten in Form eines Zero-Days. Kühlt die schmerzende Stelle mit Eis oder was immer euch zur Verfügung steht. Für die Kompression könnt ihr Bandagen, Sport-Tape oder Kompressionsstrümpfe anlegen. Dann gilt es das Bein/den Fuß hochzulagern, auf Höhe eures Herzens, um Schwellungen und Schmerzen zu reduzieren. Nehmt zudem Ibuprofen um Entzündungen entgegenzuwirken. Auch spezielle Einlagen können euch helfen spezifische Probleme in den Griff zu bekommen.
Solltet ihr nach einem Ruhetag keine Verbesserung verspüren, dann empfiehlt es sich mit einem Physiotherapeuten oder Arzt zu sprechen. Morgan von Blaze Physio ist auf dem PCT unterwegs, um Thru-Hikern bei typischen Verletzungen mit Rat und Tat beiseite zu stehen. Sie berät euch auch per Video-Call falls sie gerade nicht in der Nähe sein sollte. Sie hat mir sehr bei der Behandlung meiner Achillessehnenentzündung geholfen. Auf ihrem Instagram Kanal hat sie gute Übungen für euch parat.
Durch die Integration dieser Elemente in eure Wanderplanung könnt ihr nicht nur das Risiko von Verletzungen minimieren, sondern auch eure Leistungsfähigkeit und Freude am Trail maximieren. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Balance zwischen Ehrgeiz und dem Respekt vor den eigenen Grenzen, sowie in der Bereitschaft, auf die Signale des eigenen Körpers zu hören und entsprechend zu handeln.
Welche Erfahrungen mit Verletzungen habt ihr auf eurem Thru-Hike gemacht? Schreibt es mir in die Kommentare!