Meine erste Skihochtour soll auf die 3.738m hohe Weißkugel führen, dem dritthöchsten Berg Österreichs. Der Weg dorthin verläuft durchaus anspruchsvoll über Gletscher, steile Firnhänge und schlussendlich über einen alpinen ausgesetzen Grat. Der landschaftliche Reiz der Tour und die Aussicht von diesem alles überragenden Gipfel sind es jedoch absolut wert.
Wir brechen Samstagmorgen nach Vent in den Ötztaler Alpen auf. Unser Ziel: Die Weißkugel auf 3.738m. Wir parken oberhalb von Vent auf 2.000m Höhe bei den Rofenhöfen und begeben uns von da an dezent bergauf bis zum Hochjochhospiz auf 2.412m, dem Ziel des heutigen Tages. Zuerst können wir noch mit den Skiern steigen, aber schon bald schummeln sich Tragestrecken in den Aufstieg, wo es kein Schnee gibt. Wir gelangen an eine steile Felswand unterhalb der normalerweise ein mit Drahtseilen versicherter Weg entlang führt. Heute liegt hier jedoch Schnee, das Drahtseil unter sich begrabend, die Skier müssen auf den Rucksack montiert werden und wir gehen vorsichtig an der Felswand entlang. Hier möchte man lieber nicht abrutschen.
Denn etwa 150m unter uns rauscht ein Bach durch eine tiefe Schlucht. Überall ragen Eiszapfen an den Felsen nach unten sowie eingefrorene Wasserfälle – ein wunderschöner Anblick. Die Felswand ist schnell gemeistert, dann folgt noch ein längeres Stück Tragen auf schneefreiem Weg an der Felswand entlang bis wir zu einer Hängebrücke gelangen auf dessen anderer Seite wieder für eine Weile mit Skiern gestiegen werden kann. Immer wieder wird der Anstieg durch Tragestrecken durchbrochen, kurz vor der Hütte geht es nochmal ein Stück steiler bergauf, über den letzten Teil muss getragen werden. Durch die Tragestellen und das ständige auf- und abmontieren haben wir für den Zustieg 3h gebraucht, obwohl es normalerweise nur 2h dauert. Glücklicherweise war es nicht allzu warm, da die Sonne sich hinter Wolken versteckt hält.
Wir stellen unsere Skier weg, unsere Sachen in den Trockenraum und legen uns erstmal ein Stündchen schlafen, gönnen uns dann ein mitgebrachtes Radler und gehen dann zum Abendessen nach unten in die Gaststube. Hervorragendes Essen bestehend aus Knoblauchcremesuppe, Rinderbraten, Spinat und Nudeln sowie eine Art Apfelkipferl mit Vanillesauce zum Dessert, nom nom. Kulinarisch gesehen ist die Hütte schonmal top! Der Nebel senkt sich über das Tal und die Dämmerung verschluckt die Berge ringsherum.
Ich wiederhole noch einmal die Gletscherbergung im Geiste und bin schon schrecklich aufgeregt. Sicher bin ich mir nicht, ob ich den Gipfel erreiche. Immerhin ist das die schwerste Skitour, die ich bisher angestrebt habe, sowohl technisch als auch von den Höhenmetern her.
Die Tour ist mit 11km Anstieg auch sehr lang und Ausdauer ist wichtig. So richtig fit wie vor meiner Krankheit bin ich auch noch nicht. Ich wollte mir die Gelegenheit aber auf keinen Fall entgehen lassen. Dass ein erfahrener Skihochtourengeher einen Anfänger mitnehmen mag, kommt schließlich nicht alle Tage vor. Vor lauter Aufregung brauche ich etwas länger bis ich eingeschlafen bin.
Auf dem langen Weg zur Weißkugel
Um 6 Uhr morgens klingelt der Wecker. Wir packen zusammen, gehen frühstücken und bereiten uns auf unsere Tour vor. Ein paar der mitgebrachten Sachen lassen wir auf der Hütte um sie nicht mit hinaufschleppen zu müssen. Dafür müssen wir nachher nochmal einen kleinen Umweg wieder hier her machen. Die Weißkugel ist ein beliebtes Ziel und kann auch von der Schönen Aussicht Hütte, vom Teufelsegg oder vom Schnalstal aus bestiegen werden. Der Aufstieg vom Hochjochhospiz ist zwar der längste, aber der einfachste, da er nicht so steil ist. Auch von dieser Hütte sind viele Leute unterwegs.
Wir sind nicht die ersten, die starten, überholen aber bald die ersten kleinen Gruppen. Zuerst geht es auf gleicher Höhe von der Hütte auf einem schneefreien Weg, wo wir die Skier auf dem Rücken tragen, bis wir ein Stück hinunter rutschen können. Wir gehen dann durch die Schlucht teileinwärts bis zum Hintereisferner. Gemütlich geht es die ersten 4km mit kaum merklichen Anstieg voran. Die anfänglich tief hängenden Wolken von heute morgen klaren immer mehr auf, der Himmel wird blau und schon bald wolkenfrei. Perfekte Bedingungen!
Schon bald erreichen wir die Ausläufer des Gletschers und betreten ihn fast ungemerkt. Es liegt genug Schnee, sodass alle Spalten geschlossen sind. Schon der Wirt sagte uns, dass wir keine Probleme haben dürften, da genug Schnee liegt. Wir beschließen deshalb nicht in der Seilschaft zu gehen, was zu zweit sowieso eine etwas komplexe Sache ist, da die Gefahr besteht, sich gegenseitig abwärts zu ziehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ausgerechnet wir einbrechen, ist jedoch sehr gering. Es ist gut gespurt und all die anderen gehen auch ohne Seil. Deutlich weiter vor uns befinden sich sogar zwei große Gruppen aus bestimmt 10-15 Leuten. Es geht über den flachen Gletscher über welliges Gelände bis zu den ersten steileren Partien.
Ab 3.000m merke ich deutlich, wie mir die Höhe zu schaffen macht, vor allem was die Atmung betrifft. Ich keuche schon deutlich mehr und bin recht langsam, versuche aber ein konstantes Tempo beizubehalten. Ich habe mir vorgenommen, immer vor der letzten Dreiergruppe, die wir überholt haben, zu bleiben. Das klappt sehr gut, bis wir durch eine Art „Durchschlupf“ unterhalb einer gewaltigen Wechte und hinaus auf die Südschulter bis zum Gratrücken gelangen. Dieses letzte Stück ist unglaublich steil. Bisher war es einfacher als gedacht, nicht einmal Spitzkehrengelände, nur die Höhe macht mir zu schaffen. Nun aber geht es so steil wie ich es noch nie zuvor erlebt habe, bergauf.
Letzter Hang zum Skidepot
Zu Anfang komme ich noch gut klar mit den Spitzkehren und dem steilen Hang. Die Dreiergruppe erweist sich als eine französische Truppe und der erste von ihnen sagt, ich solle ihm einfach folgen. Dann aber wird es schwerer, es gibt auch keine Spur mehr, da die hinunter kommenden Skifahrer den Schnee im steilen Gelände immer wieder runterschieben und die Spuren verdecken. Kurzerhand hole ich meine Harscheisen aus dem Rucksack, suche mir dann eine weniger steile Stelle um wieder auf die Skier zu kommen und dann klappt es auch bei mir gut.
Ich gelange auf den Gratrücken, wo mein Tourenpartner auf mich wartet und nun müssen die letzten 150 Höhenmeter zum Skidepot bewältigt werden. Es ist überhaupt nicht steil, aber ich schnaufe wie ein Walross und pfeife aus dem letzten Loch. Die ganze Zeit treibe ich mich selbst an und muss aber immer wieder kurz stehen bleiben um Luft zu holen. Die Höhe auf 3.600m macht mir sehr zu schaffen, so hoch war ich immerhin noch nie zuvor aus eigener Kraft.
Dann sehe ich das Skidepot und freue mich unbändig es geschafft zu haben. Erstmal gibt’s eine Teepause, dann schnallen wir uns die Steigeisen an und bereiten uns für den letzten Ritt zum Hauptgipfel vor.
Gipfelsturm
In leichter Kletterei geht es über zwei Felsköpfe, dann über eine sehr schmale Firmschneide hinüber zum Hauptgipfel, wo es nochmal ein letztes Stück zu klettern gilt. Das klappt alles super, wir haben ein Seil dabei, aber Anseilen ist nicht nötig. An den meisten Stellen gibt es Schneeflecken, wo die Steigeisen gut greifen können.
Nur ein paar Stellen sind felsig, aber auch das ist kein Problem. Am Anfang hat noch eine Gruppe ein Fixseil gespannt wo ich mich aus Vorsicht noch einhänge, dann aber bauen sie das Seil ab und ich gehe ohne weiter, was kein Problem ist. Ich komme gut mit den Steigeisen zurecht und fühle mich damit relativ sicher. Sie graben sich super in den Schnee und ich mache vor allem auf dem Firngrat kleine, bedachte Schritte, um mich nicht in meinen eigenen Eisen zu verheddern. Rechts und links geht es steil bergab, wer hier abrutscht oder fällt, ist hinüber. Also lieber etwas langsamer gehen. Glücklich erreichen wir das Gipfelkreuz.
Als wir uns an die Kletterei machten, lag tiefer Nebel über dem Gipfel, aber sobald wir oben sind, klart es immer mehr auf. Wahnsinn! Die Aussicht so hoch oben, auf 3.738m, und auch meine Leistung, auf die ich unglaublich stolz bin. Wir stehen lange hier oben und schauen in alle Richtungen, der Nebel gibt immer mehr von den umliegenden Bergen und Gletschern frei. Wir überblicken das ganze Ötztal und die Gletscher, machen Fotos und freuen uns.
Abstieg zum Hochjochhospiz
Dann machen wir uns an den Abstieg und auch dieser ist ohne Probleme bewältigt. Unten gibt es dann die wohlverdiente Brotzeit, bevor wir uns auf die Abfahrt begeben. Dies geht dann sehr flott, auch wenn sich auch hier die Höhe in meiner Atmung niederschlägt. Mit jedem fallenden Höhenmeter geht es jedoch leichter und schwuppdiewupps sind wir wieder unten. Kaum zu glauben, wir haben 6h bis auf den Gipfel gebraucht und ich habe mir jeden Höhenmeter hart erkämpft, und nun ist man so schnell wieder unten. Wir beschließen uns den Aufstieg von 150hm zu sparen und den Weg zur Hütte zu nehmen, den wir gekommen sind.
Allerdings finden wir nicht sofort den Weg, sind zu weit runter gefahren und müssen hier trotzdem nochmal mit den Skiern auf dem Rücken etwa 100hm hinauf, da wir unsere Sachen von der Hütte holen müssen. Ansonsten kann man noch ein Stückchen weiter immer am Bach entlang abfahren. Durch diese Episode brauchen wir insgesamt 1,5h bis zur Hütte, was jedoch nichts im Vergleich zu 6h Aufstieg sind. An der Hütte ruft unser zweites Radler schon ganz laut nach uns und wir geben uns ihm hin. Ich bin unglaublich durstig, schon kurz vor Ende es Aufstiegs ging mir das Wasser aus und wir hatten nur noch Tee bis zum Gipfel. Die letzten Meter zurück zur Hütte waren wir dann ganz schön durstig. Nach 20 Minuten machen wir uns dann auf den letzten Abstieg zurück zum Auto.
Rückweg ins Tal
Dies erweist sich als sehr enervierend. Die vielen Tragestrecken fallen heute umso mehr ins Gewicht, da die Sonne einigen Schnee weggeschmolzen hat und außerdem die kurzen Fahrten, die wir machen können, umso kürzer erscheinen, da man diese recht schnell abgefahren ist im Vergleich zu einem Aufstieg. Immer und immer wieder müssen wir abschnallen, tragen – die kurzen Strecke auf der Schulter, die längeren auf dem Rucksack. Ich packe mich auch ein paar Mal hin, in dem schweren nassen Schnee ist es gar nicht so einfach zu fahren.
Einmal stürze ich so ungünstig, indem ich irgendwo steckenbleibe oder vielleicht war da auch ein Stein, dass ich mit dem Gesicht voran in den Schnee falle. Ich schwöre – man konnte meinen Gesichtsabdruck im Schnee sehen. Dann rutsche ich noch einmal am Ende eines Schneefelds aus, über das ich meine Skier getragen habe, und knalle mit meinem Knie auf einen Stein. Ich denke mir nichts weiter dabei, tat halt weh, und gehe weiter. Irgendwann merke ich es feucht an meinem Knie werden und merke erst, dass es ordentlich blutet und verarzte mein Knie. Da mache ich die krassesten Sachen mit Steigeisen über den ausgesetzten Grat und kurz vorm Ziel verletzte ich mich dann, herrje.
Etwa auf der Hälfte hab ich auch ganz schön die Schnauze voll und bin sehr froh als endlich die Rofenhöfe in Sicht kommen. Heute Nacht kann ich gut schlafen! Ich bin erschöpft, aber sehr glücklich! Ein gutes Gefühl. Ein bisschen Sonnenbrand habe ich mir aber doch im Gesicht und Dekolleté geholt und zwei Blasen an den Füßen künden von der Anstrengung. Das war es sowas von wert!
FAKTEN ZUR TOUR
Skihochtour auf die Weißkugel (3.738m) über Hochjochhospiz
Gehzeit: 7-7,5h
Höhenmeter: 1.870m
Exposition: Süd, Ost bis Nordost
Lawinengefahr: Bei viel Schnee und tageszeitlicher Erwärmung lawinengefährdet
Ausgangspunkt: Rotenhöfe (2.011m) bei Vent
Schwierigkeit: Mittelschwer (Gratübergang zum Gipfel schwer)
Beste Jahreszeit: März bis Anfang Mai
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